Pyrotechniker für einen Tag

Es ist viele, gefühlt viel zu viele Jahre her, da geschah mir etwas, von dem – das weiß ich – viele Erwachsene träumen. Auch ich, immer noch, immer wieder. Damals war ich allerdings noch ein Kind, nicht einmal volljährig und voller Begeisterung für Feuerwerk. Das hat sich bis heute nicht geändert und auch wenn ich älter werde, die Kälte in den Winternächten störender wird und ich auch ein Glas Sekt zunehmend zu schätzen weiß, so wäre doch eine Silvesternacht ohne angezündete Knallkörper, ohne Ooohs und Aaaahs, ohne »jetzt kommt ein ganz Dicker!« und ohne vor kindlicher Freude glitzernde Augen kein vollständiges Silvesterfest.

Wenn ich mir vorstelle, wie ich in einigen Jahrzehnten, geprägt von den Jahren, vielleicht durch eine dieser Alterskrankheiten zitternd, aber trotzdem draußen in der Kälte in meinem Rollstuhl vor dem Seniorenheim sitze und Feuerwerk anzünde, dann ist vielleicht die Sache mit dem Alter und dem Heim seltsam, aber das Gezündel gehört eindeutig dazu.

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Weil ich auch damals schon Feuer und Flamme für allerlei rauchendes Lichtgeblitz war, stand die Überlegung an, vielleicht Pyrotechniker zu werden. Oder Sprengmeister. Beides hätte ein Chemiestudium benötigt, also eine recht vorausschauende Planung und frühe Festlegung auf dieses Thema. Nun war ich im jungen Alter genau so wie heute alles andere als ein guter Planungsgeist, und das wusste mein Umfeld. Deshalb war es höchst unklar, ob die Tatsache, dass ich immer ein Feuerzeug mitführte, eher darauf schließen lassen sollte, dass ich bald mit dem Rauchen anfangen würde oder ob das wirklich als Vorbote einer großartigen Karriere als professioneller Pyrotechniker gezählt werden durfe. Um das vorweg zu nehmen: weder noch.

Dieser Tage – wir sprechen vom Ende der 90er – machte ich online Bekanntschaft mit einem echten Pyrotechniker, er hieß Ulf. Ulf lud mich ein, ihn doch einmal bei einem seiner Aufträge besuchen zu kommen und mir die Sache mit dem Feuerwerk aus der Nähe anzusehen. Ich war natürlich sofort begeistert und schaffte es, auch meine Eltern mit ins Boot zu holen. So kam es, dass wir eines Tages nach Luxemburg fuhren, denn dort fand das Feuerwerk statt. Der Spaß konnte beginnen!

Wir trafen uns an einem Autohaus – denn dort gab es eine feierliche Eröffnung, und als Höhepunkt sollte es Feuerwerk geben. Die Feier mit geladenen Gästen fand vor dem Haus statt, hinter dem Haus war ein kleiner Park mit einem Gehweg und auf einer angrenzenden Wiese sollte das Spektakel entzündet werden. Einige Spaziergänger liefen im Park umher und schauten im Vorbeigehen natürlich auch neugierig zu, was wir so trieben. Ulf war mit einem Anhänger voller Kisten und Schachteln angereist, den er mir natürlich auch stolz vorführte: »Dieses Pulver hier sieht harmlos aus, ist aber ziemlich krass. Schau, ich gebe nur ein kleines Häufchen davon auf den Gehweg hier… könnten Sie bitte alle mal ein Stück nach hinten gehen?! Danke! Schau, Thomas, jetzt zünde ich das an, und…« Plötzlich konnte ich ihn nicht mehr sehen. Das kleine Häufchen Pulver verbrannte in einer so enormen Menge nebligem Rauch, dass man für einige Sekunden die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte.

Ich war selig. Das war das Leben, wie ich es mir erträumt hatte: Einfach irgendein Pulver auf die Straße schütten, anzünden und irgendeinen coolen Effekt erhalten! Aber es wurde besser: Ulf ließ mich beim Aufstellen der Bomben helfen. Bomben funktionieren wie Raketen, nur mit zwei entscheidenen Unterschieden: Sie explodieren in der Luft fast vollständig, es bleiben nur ein paar Schnipsel Papier übrig, wohingegen bei Raketen eine ganze Menge Zeug wieder herunter fällt, also die Hülle und der Holzstab. Außerdem weichen Bomben beim Fliegen viel weniger vom Kurs ab als Raketen, was die Choreografie des Feuerwerks wesentlich stabiler und planbarer macht. Deswegen benutzt kein professioneller Pyrotechniker Raketen.

Nun stellten wir also die Bomben auf dem Rasen auf. Dafür hat jede ihr eigenes Rohr, das sozusagen die Abschussrampe darstellt. Jede Bombe wird bis auf den Boden im Rohr auf einen Zünder gelegt. Dieser Zünder muss so viel Druck erzeugen, dass die Bombe bis in die gewünschte Höhe fliegt, denn sie selbst hat im Gegensatz zu einer Rakete keinen „Treibstoff“ dabei. Das bedeutet, dass die Dinger mit einer viel größeren Explosion vom Boden abheben als Raketen das tun. Aber das hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht realisiert.

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Nach dem Aufstellen des gesamten Materials lernte ich das nächste: Die einzelnen Feuerwerkskörper wurden verdrahtet und teilweise per Computer gezündet, denn die Choreografie sollte entlang eines Musikstücks stattfinden. Inzwischen war es dunkel geworden und wir waren abschussbereit. Lediglich die Zuschauer fehlten noch. »Wie holen wir die denn jetzt hier rüber?« fragte ich. »Das zeige ich dir jetzt«, sagte Ulf. »Hier, nimm das mal.« Er reichte mir einen kleinen Metallkasten, an dessen Rückseite ein Kabel montiert war, das irgendwo in die Wiese führte. Am Kasten waren eine Kurbel und zwei Knöpfe montiert. »Das ist ein manueller Auslöser. Erst drehst du ein paar Mal an der Kurbel im Kreis, damit lädst du ihn auf. Danach drückst du beide Knöpfe gleichzeitig und er löst aus. Das Ding benutze ich immer bei Hochzeiten, dann kann das Hochzeitspaar zusammen die beiden Knöpfe drücken… Das Teil ist mit einer Blitzbombe verdrahtet. Die macht nach dem Hochfliegen nur zwei Sachen: Blitzen und Krachen. Dann weiß der ganze Stadtteil, dass wir anfangen können. Wenn du so weit bist, dreh am Hebel und drück die Knöpfe.«

Ich war so aufgeregt wie fast noch nie in meinem Leben und mein Herz schlug mir vor Freude bis zum Hals, als ich an der Kurbel drehte. »Genug«, sagte Ulf, »drück die Knöpfe und zieh den Kopf ein.« Ich drückte. Wir hörten einen kurzen Knall und in einiger Entfernung blitzte es im Dunkeln. Wir schauten nach oben. Erst passierte nichts, dann flammte plötzlich ein greller Blitz im dunklen Nachthimmel auf. Gerade, als ich fragen wollte, ob es denn keinen Ton gäbe, erreichte uns auch der langsamere Schall: Es gab einen ohrenbetäubenden Knall mit einer so saftigen Druckwelle, dass mir kurz die Hosenbeine vibrierten. Ringsum schlugen reihenweise die Alarmanlagen der Autos an und ich konnte mein Glück nicht fassen. »Boooaaahhh, war das GEIL!« Ansonsten war ich aber sprachlos. Diesen fetten Wumms hatte ich ganz allein gestartet!

Die Gäste kamen nun in den Park und die Vorführung begann. Bei dieser Auftragsarbeit musste natürlich alles nach Plan verlaufen, so dass ich hier nur zusehen konnte. Nicht alle Zündungen waren computergesteuert, aber natürlich konnte ich hier nicht einfach nach Belieben herumprobieren. Trotzdem durfte ich bei den Feuerwerkern stehen, sozusagen mittendrin, also in kürzerer Entfernung zu den Sprengsätzen. Eine der Bomben hatte sogar auch eine Fehlzündung und flog nicht hoch genug, so dass Ulf mittendrin plötzlich das brüllte, was er mir vorher noch als Ernstfallruf eingeschärft hatte: »DER KOMMT TIEF!« Alle Feuerwerker duckten und versteckten sich so gut es ging, die Gäste bekamen davon nichts mit. Der Tiefflieger explodierte nach meinem Gefühl nur eine Handbreit über unseren Köpfen – auch wenn das vielleicht ein wenig gefährlich war, fand ich es großartig.

So endete dieser Tag mit dem besten Feuerwerk überhaupt. Mit einer Blitzbombe, von der ich noch jahrelang träumen sollte, von einer selbst gemachten Vernebelung und von tief fliegenden Bomben.

Aber der Deal unseres Besuchs sah noch mehr vor: Wir übernachteten vor Ort und trafen uns am nächsten Tag nach dem Frühstück für eine kleine Einkaufstour. Ich hatte vorher gar nicht so recht verstanden, was damit gemeint war, außerdem war ich viel zu sehr mit dem Feuerwerk beschäftigt gewesen. Aber natürlich war unser Ziel kein Supermarkt, sondern ein Feuerwerker-Spezialgeschäft, genauer gesagt um eine von außen recht unscheinbare Halle, die es aber im wahrsten Sinne des Wortes in sich hatte.

Man begrüßte uns mit Handschlag, Ulf wurde wie ein alter Freund empfangen. Danach gab es einen kleinen Rundgang durch das Schlaraffenland der Pyrotechniker: In den Regalen lagen unzählige Feuerwerkskörper aller Größe, Farbe und Form, Rohmaterial zum eigenen Mischen und alles, was man für ein perfektes Feuerwerk brauchen kann. Offenbar waren die Eigentümer durch den kleinen Jungen, der mit offenem Mund durch die Reihen der explosiven Stoffe lief so berührt, dass sie mir ein T-Shirt mit ihrem Logo schenkten. Ich habe es bis heute. Aber eine große Überraschung sollte noch folgen.

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Als Ulf mit seinem dienstlichen Einkauf fertig war, wandten sich alle mir zu und mir wurde erläutert, dass meine Eltern sich bereit erklärt hätten, das eine oder andere Stück Explosivchemie für mich zu kaufen. Unter der Bedingung, dass ich es nur zu Silvester benutzen und damit sehr, sehr vorsichtig umgehen würde. Da stimmte ich natürlich sofort zu. Ulf erklärte: »In Luxemburg gibt es andere Regeln für Feuerwerk als in Deutschland. Hier dürfen die Feuerwerkskörper größer und stärker sein. Das heißt, dass das, was ihr gleich kauft, in Deutschland so nie erhältlich sein wird. Pass also auf, wo du damit angibst.«

Wir kauften eine ganze Reihe ziemlich dicker Knaller und eine Batterie von Mini-Bomben, die ich tatsächlich so in Deutschland nie gesehen habe. Sie waren zwar weniger als zehn Zentimeter groß, füllten allerdings beim nächsten Silvesterfest den gesamten Himmel über dem nächsten Feld mit farbenfrohen Sprenklern.

Seit diesem Erlebnis denke ich jedes Silvesterfest an dieses wunderbare Wochenende zurück und bin meinen Eltern bis heute dankbar, dass sie es mir ermöglicht haben. Auch wenn aus dem professionellen Pyrotechniker nichts wurde, so haben sie immerhin einen kleinen Pyromanen als Sohn. Gibt es also irgendwo etwas anzuzünden, bin ich zur Stelle. Auch wenn ich meist erst nach einem Feuerzeug suchen muss – man kommt mit den Jahren eben etwas aus der Übung.

Ein Kommentar

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