Das E/N-Prinzip

Vor Jahren war es eine lustige Herausforderung, Google mit einem Suchbegriff zu füttern, auf den es exakt ein einziges Ergebnis lieferte. Ob das heutzutage noch geht, weiß ich nicht, aber der Begriff „E/N“ wäre zumindest ein guter Kandidat dafür gewesen.

Gestoßen bin ich auf dieses Prinzip bei Daniel vom Hosentaschenblog – übrigens ein großartiger Name für eine Seite. E/N steht für „everything/nothing“. Die Abkürzung wurde in den 1990ern für Online-Inhalte genutzt, die für die veröffentliche Person sehr wichtig waren, ihr sozusagen alles bedeuteten (everything), während sie für den Rest der Welt möglicherweise bedeutungslos waren (nothing). Hier wird die Herkunft der Abkürzung erklärt und die Bedeutung treffend zusammengefasst:

The website’s author covers a myriad of topics. It’s not narrowly focused. The author writes about everything or at least everything that’s important to the author. The site might contain something useful for anyone who visits. The content means everything to the publisher, but it could mean nothing to the rest of the world.

Beim Lesen dachte ich: Wow, das ist die beste Beschreibung für die Inhalte meines Blogs. Also, natürlich bedeuten sie mir nicht im direkten Wortsinn alles, aber sie sind mir offensichtlich wichtig genug, dass ich sie veröffentliche. Und gleichzeitig bedeuten sie euch nicht direkt nichts, denn ihr lest sie ja, aber sicher ziemlich wenig. (Du, ja, genau du, du liest das hier schließlich gerade.)

Interessant übrigens, dass E = 1 ist, es also aus einer Person besteht, während N = n ist, also aus einer unbestimmten Zahl Personen besteht. So viel zur Mathematik. Übersetzen darf man die Abkürzung allerdings nicht ins Deutsche, denn mit A/N sieht der Vergleich nicht so hübsch aus.

Als letzte Beobachtung kam mir in den Sinn: Die allermeisten Seiten in meinem Feedreader sind solche E/N-Blogs. Da schreiben echte Menschen Teile ihres Lebens ins Internet, Erkenntnisse, Gedanken, Meinungen und so weiter.

Writing for the sake of writing for personal reasons and not trying to impress others.

sawv.org

Impress others? Das ist in Zeiten der Social Media-Schwemme à la Instagram & Co. ja an der Tagesordnung. Schön, dass es genau diese Blogs gibt. Und da fällt mir ein: ich sollte dringend eine Blogroll erstellen.

WMDEDGT – 5. September 2024

Unter „Was machst du eigentlich den ganzen Tag“, kurz #wmdedgt, versammeln sich die Tagebuchbloggenden an jedem 5. eines Monats und berichten vom Tag. Initiiert wurde das von Frau Brüllen.

Morgens mit Ohrwurm aufgewacht und ich glaube, ich habe das Lied die ganze Nacht durch gesungen. Merke: Abends vor dem Schlafen besser keine Musik mehr hören. Und nur, weil ich im vergangenen WMDEDGT ebenfalls von einem Ohrwurm schrieb, soll das bitte keine Regel werden.

Später stehe ich vor dem Kleidenschrank, denke „ich habe nichts anzuziehen!“, jedenfalls nichts, was zu dem kaltnasswarmen Wetter passt. Es sollen zwar 30 Grad werden, aber momentan treffen sich Taupunkt und Temperatur bei 17, mit anderen Worten, et is eggelisch.

Bei der Arbeit spüre ich das seit gut zwanzig Jahren immer wieder anekdotisch erwähnte „Sommerloch“ zum zweiten Mal in meinem Leben. Das erste Mal war im vergangenen Jahr, das verwirrte mich anfangs sehr, aber auch dieses Jahr ist es seltsam: Es treffen wesentlich weniger E-Mails, Anrufe und generell Projekte ein. Die To Do-Liste indes reicht bis zum Herbst und sollte weiter bearbeitet sein, wenn sie dann alle aus ihren Urlauben und Dienstreisen zurück sind und Aufgaben und Fragen mitgebracht haben.

In der Mittagspause höre ich die ersten Minuten von „Pageboy“ von Elliot Page, in der deutschen Fassung gelesen von Jonathan Perleth. Page hat eine Transition von Frau zu Mann hinter sich. Mich hat es sehr beeindruckt, wie in der Fernsehserie „The Umbrella Academy“ damit umgegangen wird: Nach einer Staffelpause tritt er als Mann mit kurzen Haaren auf und die Gespräche dazu laufen etwa wie folgt ab: „Vanya heißt jetzt Viktor.“ „Ah, okay.“ Fertig. Im Buch erfährt man vermutlich, dass sein Weg in der wirklichen Welt nicht ganz so einfach gewesen ist. Bin gespannt.

Nach der Arbeit falle ich aufs Sofa und schlafe wie ein Stein. Woher diese Müdigkeit oft kommt, frage ich mich, aber der Körper wird schon seine Gründe haben.

Anschließend geht’s raus. Ich mache in der untergehenden Sonne einen Spaziergang über einen Berg, durch ein Waldstück und vorbei an Feldern. Die meiste Zeit begleitet mich ein Schwarm winziger Fliegen, vielleicht auch mehrere Schwärme im Schicht- oder Staffeldienst, ist auch egal, jedenfalls ist deren liebstes Hobby, direkt in meine Augen zu fliegen. Es macht mich wahnsinnig.

Eine halbe Sekunde Zeit für das Foto, dann musste ich wieder Fliegenwedeln
Eine halbe Sekunde Zeit für das Foto, dann musste ich wieder Fliegenwedeln

Auf dem Heimweg geht’s beim Supermarkt vorbei, für dies und das, zurück zu Hause brauche ich eine gute halbe Stunde zum Auskühlen. Draußen war es wärmer als gedacht.

Nach einer Dusche und dem Abendessen schreibe ich diese Zeilen und werde den Rest des Abends spielen oder lesen.

Fand ich süß
Fand ich süß

Beim Spielen über das Leben nachgedacht

Heutzutage sind Spiele so konstruiert, dass die Stunden vorbei ziehen, ohne dass man es merkt. Bei Diablo beispielsweise ist das zwar einerseits anstrengend, weil man ständig reagieren und konzentriert sein muss, aber seltsamerweise stellt sich manchmal gleichzeitig eine gewisse Ruhe ein, in der die Gedanken wandern können – Flow eben.

Ich habe gerade einen Charakter mit Elektro-Fähigkeiten, er schießt also Blitze aus dem Zauberstab. Das ist ein sehr schneller Build, die Blitze flitzen nur so über den Bildschirm und erreichen auch die computergenerierten Gegner, die manchmal noch gar nicht zu sehen sind. Oftmals sterben sie auch, bevor ich mich ihnen überhaupt zuwenden kann, weil die Blitze sich selbstständig ihr nächstes Ziel suchen und gleichzeitig sehr hohe Schadenswerte aufweisen.

So geschah es neulich, dass ein mittelstarker Gegner am Bildschirmrand völlig außerhalb jeglicher Aufmerksamkeit und auch ohne relevanten Belang für den Spielfortschritt sein Leben aushauchte, und auch diesmal hatte mein Charakter ihn dabei nicht einmal angeschaut. Vielleicht ein trauriges Ende, in jedem Fall aber eine völlig irrelevante Existenz dieses Wesens.

Und da musste ich an mich selbst auf diesem Planeten denken. Wenn ich eines fernen Tages ebenfalls das Zeitliche segne, wird meine Existenz völlig geräuschlos enden und ebenso wie bei diesem Gegner keine Relevanz für den Fortgang der Menschheit gehabt haben. Ich werde aller Wahrscheinlichkeit nach keine maßgebliche Änderung eines wichtigen Themas angestoßen und auch keine neue Idee entwickelt haben, die die Welt irgendwie weiter bringt oder in eine neue Richtung steuert.

Das könnte mich traurig stimmen, tut es aber nicht. Früher, da vielleicht, aber mit den Jahren ist das nicht mehr wichtig. Okay, auch heute wünsche ich mir manchmal, irgendwann ein Buch zu schreiben, das noch Generationen nach mir lesen werden. Aber dass das unrealistisch ist, weiß ich selbst (obendrein schaffen das in der Regel nur die Menschen, die im Gegensatz zu mir zumindest mal Bücher schreiben).

Also, bleibt wirklich nichts? Ich glaube nach etwas Nachdenken, das stimmt nicht. Anders als die von ihrer Sippe entkoppelte Spielfigur gehöre ich einer Gesellschaft an und habe, ob ich das nun will oder nicht, einen Einfluss auf sie. Durch die Teilnahme und sogar durch die Nichtteilnahme am gesellschaftlichen Leben beeinflusse ich sie auf eine gewisse Weise. Durch Kontakt zu anderen Menschen, seien es Kollegen, Freunde, Familie, Nachbarn oder der Kassierer im Supermarkt, gestalte ich diese Gesellschaft mit. Durch einen Satz, den eine Person zum Nachdenken bringt, eine Geste, die nachhallt oder einen Wesenszug, den andere sich als gutes oder als schlechtes Beispiel merken.

Also bleibt von jedem Menschen dann eben doch ein ganz klein wenig erhalten, wenn auch meist nur ein winziger Fußabdruck im großen Ganzen. Und um genau zu sein: Auch dieser Gegner im Spiel hinterließ etwas, nämlich XP, Erfahrungspunkte, die mich schneller hochleveln und stärker werden ließen. Wenig, aber immerhin etwas, und damit schlussendlich doch wie im wirklichen Leben.

Jetzt aber zurück an den Controller.