Karneval

Schlagen zum Auspusten als Dekoration

Dieser Tage gerät das Rheinland wieder aus den Fugen. Was bewegt die Menschen dazu, sich auf Knopfdruck dermaßen albern und ausgelassen zu verhalten? Natürlich, Karneval hat einen geschichtlichen Hintergrund und ist gewachsenes Brauchtum. Es sei mir an dieser Stelle trotzdem gestattet, einen Blick auf das Jetzt zu werfen und dabei das Früher aus den Augen zu verlieren.

Karneval – immer gleich, immer anders

Alljährlich beginnt die Karnevalszeit am elften November mit einigen Sitzungen und ein paar Fernsehübertragungen – das war’s schon. In der Zeit über den Winter bis Mitte Februar hält die fünfte Jahreszeit einen vorgetäuschten Winterschlaf, denn im Untergrund wird in dieser Zeit eifrig an Ideen für die Karnevalsumzüge gefeilt. Spätestens mit dem Verlöschen der letzten Neujahrsrakete beginnen die Grundrisszeichnungen für Karnevalswagen und -verkleidungen. Vielleicht schöner, besser, größer und ausgefallener, auf jeden Fall aber ganz anders als im Vorjahr.

Denn Karneval, so ein ungeschriebenes Gesetz, erfindet sich jedes Jahr neu. Wohlgemerkt gilt das nur für Verkleidungen und Aufmachung, nicht jedoch für die Feierlaune, Alkoholvernichtung und insbesondere den Zeitpunkt der Feierlichkeiten. Denn preußisch organisiert wie wir nun einmal sind, steht bereits auf lange Zeit genau fest, an welchem Tag (Weiberfastnacht) um wie viel Uhr (11:11 Uhr natürlich) es heißt, ausgelassen die Frauen das Steuer übernehmen zu lassen. Dann werden reihenweise Rathäuser erobert, Krawatten abgeschnitten und Männer unterdrückt – so wie es sich gehört.

Auf geht’s

Dieser traditionell auf einen Donnerstag fallende Anpfiff sorgt dafür, dass bereits am Wochenende davor schon vereinzelt Verkleidete auf abendlich dunkeln Straßen zu sichten sind, denn ein einziges Party-Wochenende reicht für all die Fröhlichkeit einfach nicht aus. Spätestens aber mit Beginn der offiziellen Feierei fallen in vielen Rheinländer Unternehmen die Stifte auf die Tische, werden die Papphütchen aufgesetzt und Chefs feiern mit Angestellten ausgelassen… ja, was eigentlich?

Einen sinnvollen Anlass für diese Tollerei sucht man auf den ersten Blick vergebens. Aber ist ein Anlass überhaupt nötig? Nein, meinen Biene Maja, Soldat und Mönch, alles, was im Bürokalender steht, ist eine nicht zu hinterfragende Tatsache. Nun denn, frohes Schunkeln!

Wer feiern kann, der kann auch… weiterfeiern

Sobald die erste Ausgelassenheit abebbt, was spätestens mit Ende der vom Arbeitgeber zugestandenen Arbeitszeit für diesen Anlass passiert, steht die Entscheidung an, verkleidet wieder zurück an den Arbeitsplatz zu gehen und im leichten Bier- und Sektrausch der Versuchung zu widerstehen, ein kleines Nickerchen zu halten und stattdessen so zu tun als würde man produktiv sein – oder Clown, Shrek und Micky Maus geben sich der durch massiver Kleiner Feigling-Zugabe unterstützten Feierlaune hin und ziehen weiter zur nächsten Party. Das eine oder andere Büro wird Räume für die Festlichkeiten zur Verfügung stellen, zur Not finden in Kneipen oder dem Stadtzentrum zahlreiche After-work-Celebrations statt. Wohlgemerkt: es ist jetzt früher Nachmittag, aber zu Karneval ticken die Uhren anders.

So ist es von Donnerstag an auch erlaubt, bereits morgens betrunken zu sein. Außer natürlich man sitzt im Büro, dann sollte man sich frei nehmen. Freitag, Samstag und Sonntag sind für verschiedene Feierlichkeiten vorgesehen; manch einer schläft in dieser Zeit sehr wenig, trinkt von morgens bis abends verschiedene Alkoholika und sorgt für eine etwa neun Monate später steigende Geburtenrate. Auch diverse Tröpfchenkrankheiten werden an diesem Wochenende vermehrt weiter gegeben – Bützchen hier, Bützchen da!

Karneval ist für Kneipen und Bars, was für Kaufhäuser die Weihnachtszeit ist: das Geschäft des Jahres. Elefant, Giraffe und Zebra drängeln sich an der Wasserstelle und flirten mit dem Barkeeper um die Wette, entweder um ein Freigetränk zu erheischen oder wenigstens als erstes bedient zu werden. Party, Party, Party! Wer schwächelt, kann sich unter Höhnen verabschieden und ausschlafen, denn der große Tag steht ja erst noch bevor.

Der große Tag

Rosenmontag nämlich ist die Peak-Time des Karnevals. Festliche Umzüge allerorten, so viele, dass sie auch an den Tagen davor und danach stattfinden müssen. Von den Wagen schallt volltrunken mitlallbare Gute-Laune-Musik im Helene Fischer-Stil, die Menge tanzt und feiert auf Straßen und in Etablissements. Auf den Wagen zelebrieren nicht weniger aufgedrehte Veranstalter den Moment und werfen tonnenweise Süßigkeiten, Stofftiere, Spielzeug, Regenschirme, Schwämme und anderes nutzloses Zeug, um das sich die Karnevalisten prügeln und streiten. »Kamelle, alaaf!!« Anschließend geht es wieder in eine der vielen Schlangen vor den Bars und Kneipen – irgendwann wird man schon eingelassen werden.

Dienstag ist für manche schon der Zeitpunkt der Ernüchterung, ganz Hartgesottene feiern allerdings auch jetzt noch, zum Teil auch notgedrungen durch verschobene Karnevalsumzüge.

„Guten Morgen, Kirst… äh, Frau Müller“

Spätestens Aschermittwoch aber, also zu Beginn der Fastenzeit, ist der Spaß offiziell vorbei. Es sitzen Chefin Kirsten Müller und Arbeitnehmer Robert Meier wieder am Schreibtisch, blass, verkatert und mit diversen Erinnerungslücken. Duzt man sich jetzt? Wo endete die Party am vergangenen Donnerstag? Wurde sich auch angefasst?

Trotz der Gedächtnisaussetzer und des kränkelnden Körpers, der sich in den vergangenen Tagen allerlei fremden Bazillen ausgesetzt sah, war die Zeit doch wieder »super, aber ich fürchte, ich werde langsam zu alt für den Scheiß« – doch ganz sicher geht es im nächsten Jahr wieder auf die Piste, genau so wie dieses Mal.

Nur in einem anderen Kostüm. Abwechslung muss sein.

Foto: MB Fotografie/pixabay

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