I was here!

church_600x150

Neulich bestieg ich eine Kirche. Oder vielleicht eher einen Dom, was auch immer – wahrscheinlich gibt es da sogar eine Definition, die ich bei Wikipedia nachschlagen könnte… wie auch immer, es ging also viele, viele, sehr viele Steintreppen hinauf. Bei solchen sich rechts herum windenden Treppenaufstiegen, die nie enden zu wollen scheinen, fallen mir immer drei Geschichten auf einmal ein.

Da ist zuerst die, die ich selbst nur erzählt bekommen habe: Bekannte stiegen eine ebensolche Wendeltreppe im Kölner Dom hinauf, als sie irgendwann von oben oder unten eine Frauenstimme hörten, die deutlich verlangte: „Schatz, wenn du mich wirklich liebst, dann trägst du mich!“ – Schatz kann hier, wenn man’s mal genau beleuchtet, nur verlieren. Denn entweder er trägt sie oder er gibt zu, sie halt einfach doch nicht ganz so stark zu lieben.

Die zweite Geschichte ist das „Basis-Burgenwissen“, bei dem ich nicht einmal sicher bin, ob es stimmt: Warum drehen sich Wendeltreppen in alten Burgen und Kirchen immer rechts herum? Weil bei Angriffen die Angreifer von unten kamen und die Verteidiger von oben. Da die meisten Ritter und andere Schwertkämpfer Rechtshänder sind, ist es leichter, sich in einer – von oben herab kommend gesehen – links herum drehenden Wendeltreppe zu verteidigen oder anders herum gesagt, es ist für den Eindrinling schwerer, sich als Rechtshänder den Weg nach oben zu erkämpfen, weil man so ungelenk herum stochern muss. (Verstanden?)

Die dritte Geschichte ist mir selbst passiert: Vor Jahren war ich mal in New York und wir wollten uns die Freiheitsstatue von innen ansehen. Der Anstieg dauerte mehrere Stunden, nicht der Höhe wegen sondern aufgrund der Menschenmassen. Im Sockel geht man im Rechteck höher, in der Statue selbst gibt es eine in sich selbst doppelt gewundene Wendeltreppe, so dass man mit der einen bergauf, mit der anderen bergab gehen kann. Tricky. Wenn man dann ganz oben in der Krone angekommen ist, kann man durch einige wenige, kleine Fensterchen hinaus schauen. Wir machten ein Foto von uns vor den Fenstern, ein paar hinaus und dann ging es schon wieder bergab, weil tausende andere Menschen nachdrängten. Wieder in Deutschland kam nach dem Entwickeln der Fotos dann das große Hallo: Durch das Gegenlicht konnte man auf dem Foto leider nur Silhouetten erkennen. Was für ein Mist.

Aber eigentlich wollte ich erzählen, was in diesem Gotteshaus passierte: In der Wendeltreppe hoch und runter gab es hunderte von „ich war hier“- oder „wir waren hier“-Kritzeleien und ab und an sogar eine politische Parole. Das ist mir ein Rätsel. Wie kann man hingehen und eine grob gesagt „jemand anderem gehörende Sache“ einfach anmalen? Ich gehe doch auch nicht zu Fremden ins Haus und schreibe denen was an die Wand! Natürlich auch nicht mit einem dünnen Bleistift, nein, es muss ja auch gleich ein dicker, schwarzer Edding sein. Die Krönung waren aber tatsächlich große, gesprayte Schriftzüge.

Ich halte nichts von „ich war hier“-Kritzeleien. An Bäumen sind sie zwar irgendwie romantisch, tun aber dem Baum nicht gut. Außerdem wage ich die Behauptung, dass diejenigen, die sich an Wänden und Kacheln verewigen, heutzutage ohnehin im Besitz eines Smartphones sind und sich auch mit Facebook auf dem Uniklo einchecken könnten. Aber DAS ist ihnen wahrscheinlich zu peinlich.

Oben, auf dem Aussichtsplateau der Kirche, fielen mir dann aber unzählige Gravuren auf, die in alle erreichbaren Steine gemeißelt waren (leider ohne Foto). Auf den zweiten Blick und mit ein wenig Entschlüsselarbeit wurde klar, dass es sich hier ebenfalls um I was here-Marken im ganz, ganz alten Stil handelte. Da standen Namen von Menschen mitsamt Geburtsdatum und etwaigem Geburtsnamen, die wahrscheinlich irgendwie am Bau dieses Kapellchens mitgeholfen haben – sei es durch handwerkliche oder finanzielle Unterstützung. Vieles natürlich auf Latein und durch Verwitterung angenagt. Trotzdem: Um die Sache komplett zu machen, fehlte eigentlich nur irgendein Sparkassenlogo.

So scheint es also, dass die Menschen seit jeher das Bedürfnis haben, anderen mitzuteilen, dass sie irgendwo waren oder an irgendetwas teilhatten. Das würde nach den Herzchengravuren in Bäume nun auch den großen Erfolg von Foursquare und Co. erklären.

Am Ausgang sah ich dann noch eine Kritzelei, die mich noch einmal lächeln ließ – das war bestimmt ein Twitterer.

stoneheart_600x150

Schwimmen

Sport? Nicht im Ernst!

So dachte ich eine ganze Weile und auch heutzutage denke ich ziemlich oft so. Neulich las ich auf Twitter etwas wie „morgens ist es im Bett am gemütlichsten“, und das stimmt ja auch, abgesehen natürlich von den Wochenenden, an denen man einfach den ganzen Tag im Bett bleibt, auch dort isst und unzählige Filme schaut; dann ist das Bett noch ein klitzekleines bisschen gemütlicher. Weil dieser schreckliche Gedanke fehlt, der im Hinterkopf permanent „du musst aufstehen“ klopft. Nämlich.

Sport? Nicht im Ernst! Das denke ich also immer, wenn ich gerade im Bett bin, gerade aus dem Bett komme oder gerade ins Bett möchte. Was etwa die Hälfte meiner Lebenszeit einnimmt. Sollte ich mich, oder, was wahrscheinlicher ist, sollte jemand mich allerdings bis zum Schwimmbad geschleift haben und ich dann widerwillig in der Badehose zitternd vor dem Schwimmbecken stehe, dann, ja dann denke ich immer noch, dass das doch wohl niemandes Ernst sein kann.

Neulich beschwerte ich mich beim Bademeister über die Temperatur des Schwimmerbeckens. „Viel zu kalt!“ – „Das höre ich öfter.“ Abgebrühter Kerl. Aber er darf ja auch neben dem Pool sitzen und den anderen bei der Arbeit zusehen. Mir ist übrigens aufgefallen, dass Bademeister und -meisterinnen grundsätzlich gelangweilt aussehen und ich fürchte, dass das auch der Wahrheit entspricht. Was für ein öder Job. Grundsätzlich haben sie aber nie – was ich beim ersten Gedanken ja erwarten würde – ein Handy in der Hand, um all ihren Freunden auf Facebook ihr Leid zu klagen. Wahrscheinlich ist ihnen das verboten. Weil sie sonst vor lauter Likes nicht mitbekommen würden, dass ich mich verausgabt habe und zwei Meter neben ihnen ohne Worte untergehe, denn für einen Hilferuf bleibt mir natürlich keine Luft mehr.

Als ich da also neulich nach meiner Beschwerde meinen Bahnen zog, bekam ich mit, wie sich eine andere Schwimmerin – sehr sportlich, sehr professionell – beim gleichen Bademeister über die Wassertemperatur beschwerte: „Viel zu warm!“ – „Da habe ich heute aber schon anderes gehört!“ Ich bin dann mal weiter geschwommen, man muss sich ja nicht noch mehr bloßstellen als ohnehin schon. Im Bloßstellen bin ich gut, schon allein wegen meiner Wahl der Badehose. Entweder ist sie zu eng oder zu kurz oder zu grell oder überhaupt zu peinlich. Was Klamotten angeht bin ich weiß Gott nicht wählerisch. Bei Badehosen auch nicht, so lange ich sie nicht angezogen habe und im Schwimmbad stehe. Dann denke ich jedes Mal „die Badehose werfe ich später weg“. Mache ich aber nie, nur um mich dann beim nächsten Mal wieder zu ärgern.

Wie viel schwimmt man denn so? Ich ja immer vierzig Bahnen. Also, nach meiner Rechnung. Ein Weg, das ist eine Bahn. Andere rechnen ja eine Bahn = zwei Wege. Völlig bescheuert. Dann würde ich ja nur zwanzig Bahnen schwimmen, das klingt viel zu wenig. Und weil ich so schlecht im Merken von Dingen bin, ist neben dem Nichtuntergehen im Pool meine einzige Aufgabe, permanent die aktuelle Bahnenzahl vor mich hin zu sagen. Drei, drei, drei, drei, drei… vier, vier, vier, vier, vier… Außer, ich bekomme wieder Wasser in die Nase, in den Mund oder gleich beides. Dann bin ich damit beschäftigt, nicht allzu bestürzt auszusehen und möglichst cool all das Chlor wieder herauszuhusten, das wahrscheinlich andere vor mir auch schon im Rachen hatten.

Während ich das schreibe, frage ich mich eins um andere Mal, weshalb ich mich eigentlich ab und zu doch noch dazu zwinge, schwimmen zu gehen. Es scheint ja wirklich nichts Gutes an sich zu haben. Dass ich gegen Chlor leicht allergisch reagiere, habe ich ja noch gar nicht erwähnt, und dass die Schwimmer, die über eine Stunde durchs Wasser „fließen“, um danach sixpackbepackt und entspannt (!) dem Wasser zu entsteigen und lächelnd zu den Duschen zu schweben, mir ein unglaublich schlechtes Gefühl geben. Ich meine, hallo, wie oft pro Monat muss man denn ins Wasser, um so auszusehen und so gemütlich Sport zu machen? (Wahrscheinlich muss ich die Schwimmeinheiten zuallererst auf „pro Woche“ umstellen.)

Aber so schlimm das Ganze auch ist, es hat ja doch auch sein Gutes. Wenn ich nämlich morgens so richtig hungrig aus dem Schwimmbad komme und völlig zufrieden darüber bin, dass ich mich wieder einmal vierzig (nicht zwanzig!) Bahnen lang durchs Wasser geprügelt habe, kann ich wenigstens mit gutem Gewissen zu McDonalds fahren.


Bild von moerschy auf Pixabay

Lebensabschnitte

Es gab eine Phase in meinem Leben, da verbrachte ich jede freie Minute mit der „Clique“. Wir waren fünf Freunde, bunt zusammen gewürfelt, ungleich. Hinzu kamen ständig wechselnde Freundesfreunde – aber unser Kern blieb der gleiche. Wir verbrachten so viel Zeit miteinander, dass wir, wenn einmal einer von uns nicht mit von der Partie sein konnte, nicht so viel Spaß hatten wie sonst. Wir waren schließlich nicht vollständig. Ich hatte diese Phase weder geplant noch beabsichtigt, aber ich glaube, dass ich nie wieder so viel gelacht habe wie in dieser Zeit.

Nacheinander bestanden wir unsere Führerscheinprüfungen, fuhren durch die Gegend und besuchten uns gegenseitig. Wir unternahmen viele Kurztrips in Städte, Freizeitparks, zu entfernten Freunden, veranstalteten Feste und Geburtstagsfeiern, übernachteten wechselseitig beieinander und gingen betrunken in die Disco.

Es war eine tolle Zeit. Natürlich hatten wir unsere Probleme, auch miteinander, aber in der Rückschau kann ich sagen: Es war eine der besten Zeiten meines Lebens.

Es gab eine Phase in meinem Leben, da lernte ich, was das Berufsleben ist. Zunächst als Aushilfe in einem Kopierladen: Das waren meine ersten Begegnungen mit Kunden. Dann Zivildienst – eine einjährige Schule über die Grundsätze des Lebens, das Altern und den Tod. Später die Ausbildung im Büro; plötzlich musste ich mich mit Chefs der „Global Player“ auseinandersetzen, das ganz große Business, jeder war wichtiger als der andere. Ich hatte diesen Verlauf der Berufe nicht geplant oder beabsichtigt, aber schlussendlich lernte ich überall Dinge, von denen ich bis heute profitiere.

Es war eine besondere Zeit. Natürlich war es oft auch sehr anstrengend, aber in der Rückschau kann ich sagen: Es war eine der besten Zeiten meines Lebens.

Es gab eine Phase in meinem Leben, da lernte ich die Besinnung auf mich selbst. Ich hatte diese Phase weder geplant noch beabsichtigt – überhaupt war ich gar nicht der Meinung, dass eine große Besinnung nötig sei. Aber sie kam und es war kein Zuckerschlecken.

Nie zuvor musste ich so viele Gedanken und Verhaltensweisen, die für mich völlig normal waren, in Frage stellen. Ich verbrachte unglaublich viel Zeit in meinem eigenen Kopf und lebte zwar vollkommen abseits und abgeschottet von der gewohnten Welt, gleichzeitig aber so intensiv und bewusst wie noch nie.

Es war eine lehrreiche Zeit. Auch wenn ich häufig aufgeben und alles hinschmeißen wollte, kann ich in der Rückschau sagen: Es war eine der besten Zeiten meines Lebens.

Es gibt eine Phase in meinem Leben, die traf mich schlagartig und fast über Nacht. Das tägliche Leben veränderte sich, manches nahm für mich an Wichtigkeit ab, anderes zu. Ich fühle mich wohl damit, lasse ich es zu und genieße das, was auf mich einströmt. Ich habe diese Phase weder geplant noch beabsichtigt. Aber es könnte sein, dass sie zu den besten Zeiten meines Lebens gehört.

Es wird der Moment kommen, in dem ich wieder einmal auf mein Leben zurück blicke und sage: „Ich bin von einer in die nächste beste Phase meines Lebens gerutscht. Auch wenn es sich währenddessen manchmal nicht so angefühlt hat.“

Darauf freue ich mich schon.