Die Jahre vergehen

Kürzlich bestellte ich mir an der Theke in einer Bäckerei ein Wasser. »Möchten Sie ein Glas oder einen Strohhalm?« »Ein Glas, bitte.«

Ein Glas?!

Als ich dann mit meinem Wasser am Tisch saß, stellte ich fest, dass ich offenbar alt geworden war. Dass ich keine Cola, Limo oder sonst ein Zuckergetränk mehr wollte, ignorierte ich. Aber die Sache mit dem Glas gab mir zu denken.

War ich tatsächlich – quasi über Nacht – gealtert? Wo war die Zeit geblieben, in der ich Ed von Schleck-Eis auf den Gehweg kleckerte und im Kindergarten mein Kleiderhaken der mit dem Bild des Elefanten war? In dieser Zeit waren nämlich auch die Strohhalme immer kürzer gewesen als die Flaschen. Offenbar hatte ich jahrelang geschlafen.

»Nun gut, mittlerweile bin ich ja wohl wach«, dachte ich mir, ging zum Tresen und holte mir doch noch einen Strohhalm.

Entschleunigung

Es war einmal ein alter Indianerstamm. Sie lebten zufrieden in ihrer eigenen Indianerwelt, ihr einziges Fortbewegungsmittel waren die Pferde. Eines Tages kam ein Mann aus der Stadt in seinem Auto zu ihnen. Er hielt direkt in der Mitte ihres Lagers und präsentierte sein Gefährt. „Wer will mitfahren?“ fragte er, und der Häuptling war interessiert. So ließ der Mann aus der Stadt den Häuptling einsteigen und fuhr mit durchdrehenden Reifen los.

Er fuhr auf die nächste Hauptstraße und gab richtig Gas. Die Felsen und Sträucher flogen an ihnen vorbei, bis der Häuptling plötzlich „Stopp!“ rief. „Nein“, antwortete der Mann aus der Stadt, „jetzt geht es doch erst richtig los! Gleich kann ich noch schneller fahren.“ So rasten sie noch eine Weile, bis der Häuptling wieder rief: „Anhalten!“ Nun stoppte der Mann aus der Stadt das Auto. Der Häuptling stieg aus und setzte sich im Schneidersitz an den Straßenrand. „Was ist denn nun“, sagte der Mann, „steig wieder ein, ich will dir doch noch die schnelle Strecke zeigen.“

„Moment“, antwortete der Häuptling, „ich muss warten, bis meine Seele auch hier angekommen ist.“