Ich hätte gern…

Als Jugendlicher jobbte ich in einem Kopierladen. Mein Chef war sehr lieb und lud uns Aushilfen regelmäßig zu ein paar Bäckerei-Süßigkeiten ein: „Hol doch bitte jedem ein Stück Kuchen oder so. Für mich bitte eine Eiterbrille.“
„Eine was?!“
„Kennst du das nicht? Eine Eiterbrille.“
„Was soll das denn sein?“
„Na, denk‘ mal drüber nach.“

Etwas später wurde mir dann klar, was er meinte: Ein Puddingteilchen! Wir lachten viel über dieses anschauliche Wort, anschließend ging ich dann zur Bäckerei.
„Und was darf’s für dich sein?“
„Ich hätte gern zwei Stück Kirschkuchen, ein Schokoladencroissant und eine Eit… äh… eine… ein…“
Und da war es mir entfallen. Über mir schwebte groß das Wort EITERBRILLE und ich wusste partout nicht mehr, wie man sie normalerweise nannte.
„Was denn, Junge?“
„Ein… ein… Das da!“ Ich zeigte darauf.
„Ein Puddingteilchen?!“
„Genau!“, entfuhr er mir erleichtert, „genau. Ein Puddingteilchen! Klar!“ Die Bäckerin sah mich natürlich mit angemessener Verwunderung an und verstand nicht, wie ich mich angesichts dieses schnöden Backwerks plötzlich so freuen konnte. Gut gelaunt ging ich danach zurück zur Arbeit – dort mussten wir lange und ausgiebig über meinen Blackout lachen.

Bis heute muss ich deshalb jedes Mal lächeln, wenn ich in einer Bäckerei eine dieser Puddingbrillen sehe.

Zukunftsvision

„Wir sehen uns, tschüss!“ – Ich verabschiede meinen Freund Stefan und lege auf. Wobei… Das Wort „Auflegen“ kommt ja vom Auflegen des Telefonhörers auf die Gabel. Die Telefone, die heutzutage noch so funktionieren, haben schon Seltenheitswert. Eigentlich mache ich gar nichts. Das Telefon erkennt, dass wir mit dem Telefonat aufhören möchten und beendet die Verbindung von ganz alleine. Wie es das macht? Keine Ahnung. Ich glaube, es hört mit und ist darauf programmiert, bestimmte Änderungen in der Tonhöhe der Gesprächspartner und spezielle Verabschiedungsfloskeln zu erkennen und dann einfach, ja, aufzulegen.

Mein Smartphone piepst. Es signalisiert, dass jemand vor meiner Wohnungstür steht. Ich drücke eine Taste und die Gegensprechanlage verbindet sich über das Internet mit meinem Handy: „Ja?“
„Hi, hier ist Timo. Ich bin was früh dran, tut mir leid. Bist du noch nicht zu Hause?“
„Nein, ich bin noch im Bus. Aber ich brauche nicht mehr lange. Du kannst ja schon mal einen Tee kochen, bis gleich!“ Auch die Gegensprechanlage beendet das Gespräch automatisch.

Timo ist immer zu früh. Aber egal, ich lasse zu Hause das Schloss aufschnappen und kann auf dem Handy mitverfolgen, dass die Tür sich öffnet und wieder schließt. Kurz darauf meldet der Sensor in der Küche eine Bewegung. Okay, er kocht Tee. Da kommt eine Nachricht von ihm: Kannst du mir das WLAN freischalten? Ich muss kurz telefonieren. Ich öffne das drahtlose Netzwerk bei mir zu Hause für sein Mobiltelefon. Danke! Bis gleich. Die Sensoren melden, dass er sich jetzt im Wohnzimmer befindet. Sicher telefoniert er gerade, das ist der passende Zeitpunkt für einen kleinen Gag.

Ich öffne die Applikation für Wandhintergründe und scrolle durch die Bilder. Schneebedeckte Hügel, Bikinis am Strand, Hochhäuser im Big Apple. Ah, das ist gut: Ein psychodelischer 90er-Jahre-Mix aus abgerundeten Rechtecken. Absolut hässlich und absolut passend. Ich starte die Software bei mir zu Hause, wähle den Effekt aus und tippe auf den „Anschalten“-Button. Im gleichen Moment färbt sich die Tapete in meinem Wohnzimmer in den schlimmsten Neonfarben. Timo wird buchstäblich Augen machen!

Einige Minuten später: Du bist so gemein! Ich hab vor Schreck meine Mutter angebrüllt!
Ich schreibe zurück: Haha, schöne Grüße beim nächsten Telefonat. Übrigens: Das Teewasser ist fertig.