Sechs Monate mit der Apple Watch

Seit knapp einem halben Jahr laufe ich nicht nur mit einem Minicomputer in der Hosentasche herum, sondern ich trage auch noch einen am Handgelenk. Beide Geräte sind natürlich vom gleichen Hersteller – die Apple Watch würde ohne ein iPhone auch gar nicht funktionieren.

Mittlerweile ist die anfängliche Euphorie verschwunden und ich schaue objektiver auf dieses kleine Stück Hightech. Das könnte ein guter Zeitpunkt für ein Resümee sein: Was habe ich erwartet, was habe ich bekommen? Wofür benutze ich die Uhr, wofür nicht? Was hat mich überrascht? Und würde ich sie weiterempfehlen?

Am Anfang war der Hype

Mit dem Start der ersten Gerüchte, Apple könnte eine Smartwatch planen, war ich angefixt. Das hat mich gewundert, denn in den letzten Jahren ist meine Liebe zu den Apple-Geräten immer weiter zurück gegangen. Es war zwar immer nett, wieder ein neues Gadget zu besitzen. Dass ich aber in den Wochen vor dem Eintreffen des Pakets das Internet nach Watch-News durchforsten würde, hatte ich mir selbst gar nicht zugetraut. Ich las erste Testberichte, verfolgte Hashtags, zog mir alle Werbevideos rein und so weiter. Entsprechend euphorisch riss ich dann auch die Verpackung auf, als die Uhr – einige Wochen früher als erwartet – schließlich eintraf. Bis heute verstehe ich nicht, wie jemand ein ehrliches Unboxing-Video machen kann. Ich wäre für eine geradezu besinnliche Auspackzelebrierung viel zu aufgeregt. Aber ich bin ja auch kein YouTuber.

Meine Uhr ist die zweitgünstige, die es gibt: 42mm mit Sportarmband. Das Einrichten der Uhr und das Verknüpfen mit dem Handy ging wie erwartet flott, auch das anfangs etwas fummelige Armband ums Handgelenk zu bekommen war schnell gelernt und ging nach ein paar Tagen schon fast im Schlaf. Ein Case als Schutz habe ich nicht bestellt – die Uhr ist ein Gebrauchsgegenstand, der kaputt geht, falls er kaputt geht. (Außerdem sehen die Hüllen alle doof aus und machen die Uhr noch klobiger, als sie ohnehin schon ist.)

Die erste Woche

Wenn man ein neues technisches Spielzeug bekommt, muss man erst einmal seine Funktionen kennenlernen. Auch wenn ich natürlich durch meine geradezu suchtartige Vorbildung schon fast alles wusste: Die ersten Tage verbrachte ich damit, durch die Funktionen der Uhr und Uhr-Applikation auf dem Handy zu gehen, Einstellungen vorzunehmen, sie wieder zu ändern, Apps zu installieren und wieder zu löschen… Das App-Layout sieht ja übrigens ganz anders aus als auf dem Handy. Die Apps „kleben“ aneinander und scheinen von der imaginären Mitte des Screens magisch angezogen zu werden. Dadurch verrutschen sie immer, wenn man eine App entfernt oder verschiebt, um den leeren Platz zu füllen. Anfangs hat mich das wahnsinnig gemacht. Mittlerweile habe ich es aber aufgegeben, eine sinnvolle Ordnung zu haben, aber dazu später.

Die Uhr enthält ein „völlig neuartiges“ Vibrationselement. Bei einer Benachrichtigung fühlt sich das am Arm so an, als würde jemand mit der Fingerspitze zweimal leicht auf die Haut tippen. Das Gefühl war anfangs natürlich eher verstörend. Nach wenigen Tagen hatte ich mich aber schon so daran gewöhnt, wie das beim Handy mittlerweile der Fall ist. Stichwort: Phantomvibrationen. So starre ich seither also mitunter völlig grundlos auf die Uhr und erwarte eine Benachrichtigung, die gar nicht da ist. Im Gegensatz dazu bekomme ich echte Benachrichtigungen teilweise nicht mit, weil die Vibration (um genau zu sein: der von der „Taptic Engine“ ausgegebene Tap) eben nicht mehr ist als ein leichtes Tippen. Das soll es ja auch sein. Es lässt sich also darüber streiten, ob dieses Tippen jetzt stärker sein müsste oder nicht. Ich finde, es könnte etwas prägnanter sein, aber was soll’s.

Was noch? Die Akkulaufzeit hat mich verblüfft. In den ersten Tagen benutzte ich die Uhr natürlich übermäßig viel, dadurch war die Batterie auch gerne schon einmal leer, wenn ich ins Bett ging. An den übrigen Tagen hatte sie aber abends immer noch etwa 50 Prozent Akku übrig – beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Smartphones heutzutage meistens schon am ersten Abend die Puste ausgeht.

Der erste Monat

In den ersten vier Wochen mit dem neuen Spielzeug wurde mir bewusst, dass es sich um Version eins einer neuen Technologie handelt. Und mir wurde klar, dass ich seinerzeit klug war, erst mit dem iPhone 3GS einzusteigen. Denn: Die Kinderkrankheiten machten sich stark bemerkbar.

So zum Beispiel das Aktivieren des Displays. Es ist nicht permanent eingeschaltet (das würde den Akku zu schnell leeren, wahrscheinlich sogar meinen), sondern wird entweder per Tastendruck oder Armheben aktiviert. Die Zeiten, in denen ich während eines Meetings heimlich auf die Uhr schielen konnte, sind damit leider vorbei. Denn das Armheben muss auf eine bestimmte, recht affektierte Art und Weise geschehen, damit die Uhr es auch registriert. Ich habe darum schon ein paar Mal Kommentare à la „Ja, du hast eine Apple Watch, ich weiß es inzwischen“ bekommen, nur weil ich auf die Uhr gesehen habe. Andererseits schaltet sich das Display auch ständig ein, wenn ich Auto fahre und die Hände dabei am Lenkrad habe, was ja in aller Regel der Fall ist. Kurven zu fahren ist für das Verständnis der Uhr also gleichbedeutend mit Armheben. An das ständige An-Aus des Displays in allen möglichen Situationen habe ich mich zwar gewöhnt. An das Aus-Aus in den Momenten, in denen ich wirklich die Zeit wissen möchte, kann und will ich mich aber nicht gewöhnen.

Die Ladezeiten der Uhr sind ziemlich unterirdisch. Wenn man eine App öffnet, die entweder noch nie oder zumindest lange nicht geöffnet war, wartet man gerne 30 Sekunden oder sogar über eine Minute darauf, dass sich etwas tut. Das ist für ein Gadget, das schnelle und kurze Interaktionen bieten soll, ein Unding. Der Grund dafür ist, dass viele der Apps auf dem Handy ausgeführt und auf der Uhr nur angezeigt werden. Apple hat die dahinter stehende Technik schon verbessert („native“ Apps werden jetzt auf der Uhr selbst ausgeführt), aber bislang hat sich an der Warterei nicht viel geändert.

Der Watch App Store ist nicht besonders gut bestückt. Erstens zeigt er seit Beginn fast nur die gleichen Apps an. Zweitens fehlen die richtig großen Player wie Facebook (die mittlerweile ihren Messager schon bis zur Watch gebracht haben), WhatsApp (der Konkurrent WeChat ist hingegen vertreten) oder Spotify. Das Problem mit den immergleichen Apps konnte ich in den ersten Wochen natürlich nachvollziehen. Die Entwickler mussten eine App bauen, die auf einem Gerät laufen sollte, das sie nicht kannten und nicht ausprobieren konnten. Verständlich, dass nur die „early adopters“ und Programmierschmieden mit viel Geld sich an solch eine Aufgabe wagten. Gleich nach der Veröffentlichung mussten die Hersteller ihre eigene App testen und feststellen, dass manches nicht so funktionierte wie gedacht. Mehrere Apps wurden komplett neu geschrieben.

Es war aber nicht alles schlecht im ersten Monat. Die Uhr gehörte mehr und mehr zu mir und wurde immer weniger eine Besonderheit. Während ich nur Computer mit einer Tastatur als „Eingabegeräte“ betrachte, sind für mich alle kleineren Dinge wie Tablets, Smartphones oder eben Smartwatches nur zum Konsumieren gedacht, nicht zum Produzieren. Die Uhr verkleinert den Anwendungsbereich, verglichen mit dem eines Smartphones, noch um ein Vielfaches. Häufig wurde ich gefragt, ob die Uhr denn Fotos machen kann. Nein, sie hat keine eigene Kamera (aber eine Kamera-App, mit der man die des Handys fernsteuern kann). Wozu auch? Telefonieren kann man mit der Uhr, sie hat einen Lautsprecher und ein Mikrofon, aber es macht keinen Spaß und die Qualität ist auch alles andere als großartig. Übrigens sieht man dabei auch noch total blöd aus.

Schreiben? Fehlanzeige. Wie sollte das auch gehen? Viel wichtiger die Frage: wozu? Diktieren, das geht – mehr oder weniger. Siri ist zwar in manchen Dingen ganz pfiffig, aber im Großen und Ganzen immer noch strohdumm. Wenn man nicht die richtigen Worte benutzt, versteht sie überhaupt nichts, und wenn ein Jackenärmel das Mikrofon verdeckt, geht die Anfrage auch den Bach runter. Das sind alles Funktionen, die irgendwie „nice to have“ sind, ich habe auch schon mit der Uhr telefoniert, aber groß nötig sind sie nicht.

Benachrichtigungen! Das ist – für mich – die Hauptaufgabe der Uhr. Neben der Anzeige von… der Uhrzeit. Zu wissen, dass ich eine E-Mail bekommen habe, von wem sie ist und wie die ersten paar Zeilen lauten, das reicht. Ich kann dann entscheiden, die Mail zu ignorieren oder zu löschen, sie für später zu markieren oder sie am Handy zu lesen (auf der Uhr geht das auch, aber noch einmal: wozu?). Ebenso gilt das für WhatsApps, SMS und Nachrichten aus aller Welt.

Und Interaktionen? Die klappen. Mit einem Smiley oder einer sehr kurzen Nachricht antworten – top. Jemandem eine kleine Zeichnung schicken – nettes Spielzeug für zwischendurch. In den meisten Fällen nehme ich dafür aber doch mein iPhone zur Hand.

Was ist mit Bewegung? Ja, da hat mich die Uhr angetrieben. Sie zeigt auf einen Blick, ob man am Tag schon genug Bewegung hatte oder mal aufstehen sollte. Sportliche Aktivitäten kann sie überwachen und zeigt mir an, dass mein Herzschlag zu hoch ist, noch bevor mir schwindelig wird. Es gab Tage, da habe ich mich extra noch einmal angestrengt, weil ich das Tagesziel noch nicht erreicht hatte. Gamification as its very best! Es gibt zwar noch keine Ranglisten mit Freunden (jedenfalls keine Apple-eigenen; Drittanbieter haben die bereits), aber das ist sicher nur eine Frage der Zeit; auch wenn das für mich zu viel des Guten wäre. Trotzdem: Der unaufdringliche Druck, sich noch etwas zu bewegen, wiegt nicht schwer, und ihm nachzugeben, benötigt weniger Überwindung, wenn man schon währenddessen sieht, wie „die Aktivitätsringe sich füllen“. Es kann so einfach sein.

Das erste halbe Jahr

Fast genau so viele Apps, die ich auf der Uhr installiert habe, habe ich mittlerweile wieder gelöscht. Weil sie irgendwie sinnlos waren. Die meisten Apple-eigenen Apps benutze ich nicht. Damit verbleiben… Moment, kurz zählen… unter zehn Apps, die ich tagtäglich nutze. Aber die so regelmäßig, dass mir etwas fehlen würde, wenn sie plötzlich verschwunden wären.

Spiele gibt es für die Uhr auch einige; ein Genre hat es mir ganz besonders angetan. Und das ist eines ohne besondere Grafik. Man begibt sich in ein kleines Rollenspiel, bei dem die Bilder im eigenen Kopf entstehen, ein bisschen wie beim Lesen. Im Spielablauf hat man SMS-Kontakt zu einer fremden Person in Lebensgefahr und versucht, sie zu retten, indem man ihre Geschicke lenkt. Geht das schief, stirbt sie. Macht man es richtig, nimmt alles ein gutes Ende (die Spiele heißen „Lifeline“ und „One Button Travel„). Denn sind wir doch mal ehrlich: Egal, wie hochauflösend das Uhrendisplay ist oder vielleicht noch wird, es ist und bleibt winzig, was Spiele mit hübscher Grafik unnütz macht.

Zwei „Features“ der Uhr habe ich noch nicht erklärt: Checks und Komplikationen. Zunächst zu den Checks. Um nicht ständig eine bestimmte App in der großen Unübersicht suchen zu müssen, kann man sie in einer „Schnellstartleiste“ anordnen – sofern die jeweiligen Apps diese Funktion anbieten. Es ist verlockend, dort alle verfügbaren Apps zu versammeln, allerdings macht das den schönen Gedanken hinter der Sache kaputt. Ich habe dort nur fünf „Schnellstarter“ gespeichert statt zwanzig.

Komplikationen nennt man im Uhrenmetier offenbar kleine Icons, die direkt auf dem Ziffernblatt der Uhr angezeigt werden können. Apps, die das unterstützen, können so auf den ersten Blick Informationen liefern. Bestes Beispiel: Das Wetter und die Börsenkurse. Man kann sich auch die Einkaufsliste, eine schnelle Übersicht der eigenen Aktivität am jeweiligen Tag („muss ich etwa noch einen Spaziergang machen, um meine Aktivitätskalorien für heute zu erreichen?“) oder die momentane Mondphase anzeigen lassen. Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt, die Zahl der Apps, die das anbieten, allerdings sehr wohl – da muss noch mehr gehen.

Mehr gehen muss auch im Bereich der Ziffernblätter selbst. Aus ursprünglich zehn wurden mit dem neuen Betriebssystem Watch OS 2 nun 13 Ziffernblätter. Aber ich muss sagen, dass ich mit keinem wirklich zufrieden bin. Apple wäre sicher gut beraten, einen eigenen Watchface-Store zu eröffnen.

Fazit: Was ist besser als erwartet, was schlechter? Kaufempfehlung für andere?

Positiv überrascht hat mich eindeutig der Bewegungstracker. Auch wenn ich mein Leben wahrlich nicht nach der Anzeige der Uhr ausrichte, so freue ich mich doch, wenn ich mal ein Abzeichen für besondere sportliche Leistungen erhalte. Nachdem mir das im Schulsport schon nie vergönnt war…

Die schnelle Übersicht der eingegangenen Benachrichtigungen ist für mich außerdem gut gelungen. Wenn die Uhr vibriert, ich aber gerade nicht reagieren kann oder möchte, ist der Gedanke „ah, da ist gerade etwas passiert und möchte meine Aufmerksamkeit“ auch nach einer Sekunde der Ablenkung wieder verschwunden.

Ausbaufähig ist die Geschwindigkeit der Uhr allgemein – gerade hier sollte man aber nicht vergessen, dass wir hier von Version 1 sprechen und sich noch allerhand tun wird. Ein Ziffernblätter-Store wäre auch sehr wünschenswert.

Und: Mehr Apps. Entwickler stehen natürlich vor einem Problem: Wie soll ich mein großartiges Spiel/meine tolle News-App/mein bebildertes Rezeptbuch/meinen Routenplaner auf solch ein winziges Display bekommen und dabei noch eine sinnvolle Benutzbarkeit mitsamt Daseinsberechtigung kreieren? Da sind neue Ideen gefragt und ich bin sehr froh, dass das nicht mein Job ist.

„Würdest du mir die Uhr empfehlen?“ – Das wurde ich häufig gefragt. Eine klare Antwort darauf habe ich nicht. „Early adoptern“ würde ich dazu raten. Menschen, die glauben, mit der Uhr das Smartphone zu ersetzen, empfehle ich, sich erst etwas einzulesen. Denn sie werden feststellen, dass das ein grundsätzlich falscher Ansatz ist. Benutzer, die ein gut funktionierendes, fertig designtes Stück Technik erwerben möchten… ja, die sollten mindestens Version 2, vielleicht sogar eher Version 3 oder gar 4 abwarten.

Denn wie gesagt: da kommt noch mehr. Ich bin gespannt.

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