Sind Antibibliotheken ein Argument gegen digitale Bücher?

16. September 2025 · 15 Kommentare

Dass der „pile of shame“ negativ ist, war mir bisher nicht aufgefallen. Ich lernte heute zwei alternative Begriffe und stellte obendrein fest: Ich brauche eine Privatbibliothek.

Mein „pile of shame“, also der Stapel der Schande, ist zurzeit sechs Bücher hoch, davon sind drei Hörbücher und drei eBooks. Ich bin ganz zufrieden damit, dass ich keine große Zahl gekaufter, aber noch ungelesener Bücher herumliegen habe, egal ob digital oder physisch. Ich versuche, Bücher nur dann zu kaufen, wenn ich sie auch lesen werde. Oder sie zumindest anfangen werde, den. bei manchen Werken stellt sich ja erst weit nach der Leseprobe heraus, dass sie nicht passen.

Mein Vorgehen ist also: Buch kaufen, auf den Stapel legen, es demnächst lesen bzw. hören, und wenn der Stapel klein genug ist, gehe ich wieder auf Shoppingtour. Darauf freue ich mich immer ganz besonders.

Der negative Begriff „pile of shame“ deutet an, dass das Ziel ist, ihn möglichst klein zu halten, oder anders herum, dass man sich immer schlechter zu fühlen hat, je größer er wird. Dabei halte ich gar nichts von negativer Motivation! Michael von mkln.org hat zwei andere Begriffe gefunden, die positiver sind und den Gedanken dahinter erweitern.

Alternativen

Es gibt nämlich Menschen, die sich gerne Bücher ins Regal stellen, um sich mit ihnen zu umgeben. Denen geht es nicht darum, die Bücher alle zu lesen – vielleicht einige davon – sondern darum, sie lesen zu wollen. Leseanreize, wohin man sieht. Michael beschreibt das nicht nur in Bezug auf Bücher:

Ich habe weder mehrere hundert offene Tabs, noch mehrere hundert ungelesene Bücher jemals als Problem angesehen. Ganz im Gegenteil. Sie waren und sind stete Motivation und Freude, mich bei nächster Gelegenheit mit alledem zu beschäftigen, was ich während meines Browsings im Web, dem Durchscrollen im Newsreader oder den Besuchen bei den Bücherläden meines Vertrauens gefunden und zur weiteren Begutachtung gesammelt habe.

Diese Sammlung könne man als Antibibliothek bezeichnen. Schöne Idee! Bezogen aufs Lesen sehe ich eine kleine oder auch große private Bibliothek vor mir, schränkeweise Bücher, gemütliche Sitz- und Liegemöbel und eine allgegenwärtige Lese- und damit auch Entwicklungsmotivation. Entwicklung? Ja, sagt bigthink.com. Eine Studie habe herausgefunden,

that children who grew up in homes with between 80 and 350 books showed improved literacy, numeracy, and information communication technology skills as adults. Exposure to books, the researchers suggested, boosts these cognitive abilities by making reading a part of life’s routines and habits.

So, und weil der Begriff Antibibliothek durch das Anti auch negativ ist, gibt es ein weiteres, vollkommen neutrales Wort: Tsundoku. Dieses japanische Kofferwort bezeichnet wertungslos einen Stapel ungelesener Bücher.

Aber… eBooks!

Wie auch immer man diese Türme oder Regalmeter am Ende aber nennt, die Überlegungen und Studien beziehen sich doch wohl immer auf Papierbücher. Wo bleibe ich mit meinen eBooks und Hörbüchern? In meiner Wohnung stehen eher zufällig auch Bücher im Regal, in den meisten Fällen Relikte aus Jahren ohne eBooks und noch mit anderen inhaltlichen Vorlieben. Gäbe es hier Kinder und Jugendliche, die zum Lesen animiert und denen die oben zitierten verbesserten Fähigkeiten und Vorteile eingepflanzt werden sollten – wie ginge das?

Die digitalen Bücher liegen als Dateien in einem Ordner auf dem Server herum und sehen allenfalls in der Verwaltungssoftware ganz nett aus. Ich freue mich darüber, dass ich sie dort beliebig umsortieren kann, aber das bringt weder fiktiven Jugendlichen noch mir selbst den genannten Effekt ein, mehr und mehr lesen zu wollen.

Ich will kein Problem herbeireden. Auch ohne eine anfassbare Bibliothek habe ich Lust zu lesen. Ein bisschen fuchst es mich aber, dass ich den beschriebenen Effekt vermutlich nicht mitnehmen kann. Vielleicht muss ich Pappschachteln mit den Buchcovern bekleben und sie ins Regal stellen…


15 Antworten

  1. Hm, interessant. Bei dem Begriff Antibibliothek bin ich zuerst etwas gestolpert, weil der zuerst für mich eher so klang, als ob man hier „anti Bücher“ ist. Aber es ist eher „Bibliothek, in der nichts ausgeliehen, sondern erstmal nur gesammelt wird“? Interessant. :) Ich kannte allerdings den Begriff Tsundoku schon und finde es sehr schön, dass es im Japanischen so ein dediziertes Wort (mit Schriftzeichen) gibt. Ich bin auch so jemand, die immer Bücher horten will für vermeintlich schlechte Zeiten oder weil ich manchmal bestimmten Ausgaben hinterher jage. Manchmal auch einfach nur, weil ich denke, dass ich das als nächstes lese (und dann ja doch ein anderes aus dem Regal nehme).


    1. Anti Bücher! Das ist ja… das wäre doch… also… auf gar keinen Fall!

      Bei der Antibibliothek geht es eher darum, eine Büchersammlung anzulegen, um sich aus bestimmten Gründen mit Büchern zu umgeben. Klar kann man auch welche lesen, aber sie dienen dann zusätzlich auch dem Leseanreiz. So wie wenn sich jemand lauter Pflanzen in die Wohnung stellt, um sich damit zu umgeben.


  2. Ein volles Regal ungelesener Bücher ist vor allen Dingen ein Raum für Möglichkeiten! Vielleicht fällt mir das leichter, weil ich Bibliothekar eh nicht alle Bücher um mich herum lesen kann.

    Ich habe auf meinem E-Book-Reader einen ganzen Haufen ungelesener Bücher ständig dabei und das sind für mich einfach viele Gelegenheiten zum Schmökern.


    1. Ha, das stimmt, du bist das mit den vielen ungelesenen Büchern gewohnt. Trotzdem: Selbst wenn man tausend Bücher digital ganz einfach dabeihaben kann, die Übersicht einer Papierbibliothek geht dadurch zwangsläufig verloren. Schade irgendwie.


      1. Was vor allen Dingen verloren geht, ist das schöne Gefühl, seine gedruckten Bücher anzuschauen und am Regal entlang zu gucken. Deswegen bin ich ja auch gerne in beiden Welten zu Hause.

        Was „Übersicht“ angeht, so kann man die natürlich auch digital herstellen. Ob damit Werke nun physisch oder in digitalen Ordnungssystemen sortiert werden, ist da zweitrangig. Mein Berufsstand hat sich mit dem Thema schon eine Weile (also eigentlich: Schon immer) befasst.


        1. Gedanklich hatte ich die Übersicht nicht von der Leseanregung getrennt, aber im Gespräch darüber mit einem Bibliothekswesen muss man natürlich genau darauf achten, was man sagt ;-) Ja, das eine ist die Übersichtlichkeit, die geht digital gut, wenn nicht sogar besser als physisch. Das andere ist die Leseanregung (Michael nennt sie Serendipität), und die ist physisch um ein Vielfaches besser.


  3. Ja, E-Books sind in einer Antibibliothek (oder wie auch immer das Ding dann genannt wird) ein Problem, da ihrer „Entdeckung“ das Serendipitätsmoment fehlt. Software, die solcherart Bücher organisiert, unterbindet das ja geradezu. Und Dritte da ranlassen ist auch eher unwahrscheinlich.

    Du könntest natürlich, ich habe das einige Zeit lang gemacht, deinen Blog nutzen, um in einer Art Kategorie alle Werke zu sammeln, die du lesen willst. Später dann, wenn du sie gelesen hast, machst du daraus ein Review oder verweist auf das ursprüngliche Vorhaben. Diese Beiträge könntest du dann, so wie ich das seit einiger Zeit mache, randomisiert in den Feed aktueller Beiträge einspeisen (bei mir ist das aktuell der vierte Beitrag, der „aus dem Archiv“ ist) und dich so selbst mit den Vorhaben von damals konfrontieren. Bei mir haben diese Flashbacks tatsächlich im einen oder anderen Fall schon dazu geführt, dass ich einen Beitrag von damals abgeschlossen, abgeändert oder ein damals erwähntes Buch (oder einen Artikel, auf den ich verwiesen habe), zu Ende gelesen oder – immerhin geht es hier um Tsundoku – überhaupt erst gelesen habe.

    Die Antibliothek ist offen und nährt so auch die potentielle Neugier Dritter. Eine elektronische Bibliothek, optimiert auf effizientes Finden, verhindert meiner Meinung nach diese Offenheit sogar. Man mag also über Papier noch so wenig Positives sagen können; die Dinge manifest, in Papierform im Regal in einem Raum stehen zu haben, ermöglicht erst den zweiten Aspekt der Antibibliothek, der sich weniger auf das eigene Vorhaben stützt, die Bücher zu lesen, sondern es auch Dritten ermöglicht, dieses Vorhaben aufzubringen.


    1. Stimmt, es ist nicht nur die Anregung, überhaupt lesen zu wollen, sondern auch der Effekt, dass man ein konkretes Buch aus dem Regal ziehen kann, an das man bei der Leseentscheidung vorher aber gar nicht gedacht hat. Die Software kann das ein bisschen, aber vergleichsweise schlecht: Indem ich mir zum Beispiel Bücher zu bestimmten Themen oder nach Kategorien wie Kaufdatum, Lesedatum, Bewertung etc. anzeigen lasse. Für echte Zufälle bräuchte es aber auch auf den ersten Blick unnötige Filter/Sortierungen wie „Farbe des Covers“, „Seitenzahl“, „Alter in der Privatbibliothek“, „Zahl der Lesungen“ und natürlich auch „Zufall“. Und einen größeren Bildschirm, eher wie mehrere Fernseher nebeneinander. Mit anderen Worten: das geht nicht.

      Die Idee mit dem Blog finde ich schlau, sie kommt jedenfalls viel näher an die Serendipität (die ich jedes Mal neu nachschlagen muss) heran als meine Lese-App.


    2. Ich meinte es irgendwelche wesentlich weniger over-engineered!

      Auf meinem E-Book-Reader habe ich so einige ungelesene Bücher immer dabei und wenn ich ein Buch zu Ende gelesen habe, kann ich ja nach Gusto das nächste auswählen. Sozusagen kann ich immer aus dem Vollen schöpfen.

      Auf meiner Reise nutze ich die Wartezeiten (Bahnfahren in Slowenien ist ganz anders als in Deutschland) wieder mehr zum Lesen und die nächsten zwei Tage in Koper möchte ich möglichst wenig tun, außer am Meer zu sitzen, um dort zu Lesen und vielleicht zu Schreiben.


  4. Noch nie habe ich den Begriff „pile of shame“ gehört und wie Du auch, finde ich ihn viel zu negativ. Ich mag Bücher (sowohl physisch als auch digital) und habe immer gerne welche zu Hause. Viele davon sind noch ungelesen. Das macht mich nicht verrückt und mir macht keiner einen Vorwurf.


    1. Ich habe den Begriff zuerst im Spielekontext gehört. Ein Vollpreisspiel für die Konsole kostet heutzutage gern mal 80 Euro. Das dann liegen zu lassen ist unglaubliche Verschwendung. Mit Büchern kommt man da zwar auch schnell hin, aber es fällt weniger auf.


  5. Übersiedeln hilft als Erfahrung. Was gedruckte Bücher betrifft. Ich hatte ein riesiges Regal davon. Sogar bessere Ausgaben. Genau niemand wollte sie in Bausch und Bogen für 10 Euro kaufen. Alles zum Altstoffzentrum. Ich bin im Jahr 2025 angekommen. Zumindest keine gedruckten Bücher mehr. Ohne Wehmut.


    1. Verstehe ich… Papierbücher sind in dem Sinne Verschwendung, als dass das Papier die allermeiste Zeit nicht genutzt wird, jedenfalls wenn sie in Privatbibliotheken stehen. In öffentlichen Bibliotheken ist es zumindest etwas besser.

      Wenn man die im Artikel genannten Studien in die andere Waagschale wirft, müsste man sich entscheiden: Entweder viel Papier bedrucken und es ungenutzt herumstehen lassen oder eine angenehm anregende Atmosphäre der Leselust herstellen. Ich glaube, da kann man nur verlieren ;-)


  6. Ach was? Ich kannte bisher nur den Begriff StuB (Stapel ungelesener Bücher) und fand den recht trocken. Aber Tsundoku klingt viiiiieeel besser!

    Ich finde, jeder sollte eine Privatbibliothek haben! So wie du sie beschrieben hast, klingt das sehr toll und gemütlich.

    Und dann die japanischen Schriftzeichen für Tsundoku auf die Tür dieser Bibliothek malen. DAS wäre dann die Kirsche auf der Sahnetorte!


    1. Oooh, schöne Idee! Und je nach Thema sind die einzelnen Regale mal mit verschlungenen Buchstaben verziert (Fantasy), mal mit zackigen (Science Fiction), oder auch mit neutralen (Sachbücher). Bei Satire mit Comic Sans.


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