Steigen wir mal mit was Abgelutschtem ein: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. So heißt es schon seit Urzeiten. Ich weiß auch, dass ich viele Dinge nicht weiß, von denen angenommen wird, sie gehörten zur Allgemeinbildung. Keines der folgenden Beispiele ist heutzutage nicht in wenigen Sekunden herauszufinden. Aber zu der Zeit, als ich diese Dinge in der Schule lernen sollte, gab es KIs und Suchmaschinen noch nicht, und überhaupt: „Während der Klassenarbeit musst du es im Kopf haben!“
Was ich nicht weiß
Ich weiß nicht, was eine Präposition oder ein Präteritum ist. – Und trotzdem habe ich diesen Blog.
In Deutsch hatte ich seltsame Lehrer: Die meisten dachten, Angst sei ein guter Lehrmeister und schüchterten bestimmte Kinder ganz gezielt ein (genauso übrigens in Englisch und Französisch – ist das so ein Ding bei Sprachen?). Einer meiner Deutschlehrer fiel aus dem Raster, er war ein sehr gütiger, aber missverstandener Künstler, der es leider nicht schaffte, seine Liebe für das Deutsche auf die Klasse zu übertragen. Schade, ich glaube, er suchte echt nette Texte für uns raus.
Ich weiß nicht, was eine Kurvendiskussion ist und rechne immer noch mit den Fingern. – Aber ich kann in Excel verschachtelte Wenn-Funktionen schreiben, fast jede Auswertung selbst machen und werde im Büro aus anderen Abteilungen manchmal deswegen angefragt.
Jaja, das eine ist Mathe, das andere Logik. Aber diesen Unterschied verstand ich auch erst Jahre nach der Schule: Ich musste zwei Mathe-Nachprüfungen machen, nur eine davon bestand ich – über Sinus und Cosinus. Natürlich blieb nach sechs Wochen intensiven auf-den-Punkt-Lernen-und-danach-alles-wieder-vergessen-Sommerferien nichts bis heute hängen. Darum dachte ich aber lange, Zahlen und eben auch Logik lägen mir nicht. In der Berufsschule stellte ich fest, dass das gar nicht stimmt, denn sogar für Rechnungswesen konnte ich mich erwärmen, nämlich weil der Sinn dahinter erkennbar war. Wie viel das Brot beim Bäcker gekostet hat, kann ich mir trotzdem nicht merken (und das ist schon wieder eine ganz andere Disziplin).
Ich weiß nicht, wie das Periodensystem aufgebaut ist und kenne nur ein einziges Element. – Und das, obwohl ich als Jugendlicher begeistert mit einem Chemiebaukasten und einem Anfängermikroskop gespielt hatte?
Bunsenbrenner fand ich spannend, aber bei der Einführung ins Periodensystem muss ich gefehlt haben, denn es wurde eines Tages wie selbstverständlich vorausgesetzt. Ich kenne nur Pb (Blei), weil „Plumbum“ so lustig klingt. Und an keine Chemie-Doppelstunde kann ich mich allerdings besser erinnern als die, in der ich fälschlicherweise der Unruhestiftung bezichtigt und aus dem Klassenraum geworfen wurde. Ich schlug die Tür hinter mir so fest ins Schloss, dass es bis zum Lehrerzimmer hallte und ging danach unerlaubterweise ins Dorf um Kekse zu kaufen. Nach der Doppelstunde musste ich vor dem Schulleiter erklären, weshalb ich nicht schlechtgewissig vor der Tür gewartet und mich stattdessen vom Schulgelände entfernt hatte, außerdem musste ich mich beim Chemielehrer entschuldigen.
Ich weiß nicht, wann Napoleon lebte und wer Heinrich VIII. war. – Aber ich höre heutzutage sehr gerne Geschichtspodcasts.
Im Geschichtsunterricht beschränkte sich meine Lehrerin leider darauf, uns zusammenhanglos Jahreszahlen auswendig lernen zu lassen, dabei ist doch gerade Geschichte so unglaublich spannend und könnte mit, naja, Geschichten angereichert werden. Ich starrte darum lieber auf ihre riesigen Kniescheiben, die direkt vor mir unter ihrem pinken Lederrock hervorschauten, und schloss mit mir selbst Wetten ab, wann der rosa Lippenstift wieder auf ihre Zähne abfärben würde. Ich erhielt am Ende des Jahres die Note eines anderen Schülers, eine 3, während er meine 4 bekam. Die Lehrerin hatte uns schon das ganze Schuljahr über verwechselt. Mir stand nur deshalb keine 5 zu, weil ich von einem Urlaub in Ägypten erzählt hatte und sie seither grundlos davon ausging, ich sei diesbezüglich ein Fachmann.
Und in Sport hatte ich eine 5. – Trotzdem mag ich Bewegung ganz gerne.
Irgendwann stellte ich gänzlich auf Verweigerung um, beschimpfte den unschuldigen Sportlehrer unflätig, unterließ jede sportliche Betätigung und hatte diese Note darum wirklich verdient. Vielleicht glich das Universum damit die ungerechtfertigte Geschichtsnote aus, wer weiß. Dennoch ging ich gerne schwimmen, spazieren, inline-skaten – ich mochte sogar Volleyball. Immerhin hatte auch Christine Westermann eine 5 in Sport, wie sie im Bücherpodcast „Zwei Seiten“ nebenbei erwähnt, schön, dass ich nicht der einzige bin.
Also: Hat das Schulsystem an mir versagt oder ich an ihm?
Vermutlich beides. All die oben genannten Dinge, die ich nicht kann, hätte ich in der Schule lernen sollen und gelte darum wohl als ungebildet, jedenfalls, wenn man nach meinen damaligen Zeugnisnoten geht. Aber ist das wirklich alles? Lässt sich die Bildung, das Können oder gar der Wert eines jungen Menschen an den Zeugnissen ablesen?
Natürlich nicht.
Denn all die ebenfalls oben genannten Dinge, die ich kann oder gerne mag, habe ich trotz der Schule gelernt. Über das Schulsystem der 80er und 90er lässt sich sicher viel Schlechtes sagen, allen voran hatte ich damals einige wirklich unterirdische Lehrkräfte, die, selbst wenn sie teilweise echt nette Menschen waren, völlig falsche Methoden an den Tag legten, wie man heute weiß, und wenn wir mal ehrlich sind, auch damals schon wusste.
Inhaltlich wurden außerdem viele wichtige Themen einfach ausgeklammert (wie geht man mit Geld um, wie funktioniert der Finanzmarkt, was sind Aktien, wie funktioniert die Medienbranche (auch schon in den 90ern), wie erkenne ich staatsgelenkte Medien (dito), welche Computerprogramme sind aktuell auf dem Markt, wie funktioniert überhaupt so ein Computer, was ist richtige Körperhaltung, wieso ist Sport wichtig für den Körper…). Es wurde komplett versäumt, zu vermitteln, weshalb wir den Stoff lernten, das einzige Argument war immer „ihr braucht das später alles“. Dafür wurden andere Themen bis auf ein Niveau ausgeschlachtet, dass wir sie fast herunterbeten konnten. Ich musste unzählige Filmvorführungen von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ über mich ergehen lassen und war irgendwann davon so genervt, dass ich auf Durchzug schaltete. Familienbetrieb hat passend dazu einen wichtigen Unterschied zwischen damals und heute erkannt:
Vielleicht liegt das daran, dass es zu meiner Schulzeit keine kurzweiligen, informativen Lernvideos im Internet gab. Wir hatten ja nicht einmal Internet. Nur Telekolleg. Eine Sendung, die vormittags in den Dritten Programmen lief. Da erklärte ein Mann mit Faible für Pullover mit großen Rautenmustern und einer Frisur, die er seit seinem Studium in den 60ern nicht gewechselt hat, mathematische und naturwissenschaftliche Themen. Faszinierend war dabei, dass die Sendung noch monotoner und langweiliger als der Schulunterricht war.
Auf der anderen Seite ist die Pubertät wirklich keine leichte Phase und ich bin, wie man oben sieht, nicht ganz unschuldig an meinen schlechten Schulnoten. Nein, ich war damals extrem störrisch und verweigerte irgendwann wie ein Flipper, der zu oft angestoßen wurde, jegliche körperliche oder geistige Bewegung. Vielleicht haben wir also beide aneinander versagt, das Schulsystem und ich.
Interesse am Lernen finden
Es ist längst erwiesen, dass Lernen am besten mit intrinsischem Interesse funktioniert, also wenn die eigene Lust geweckt ist, das Thema zu verstehen. Ich will als Erwachsener von ganz allein wissen, wie die Briefmarke erfunden wurde, wie das Münzgeld entstand und wie – vor allem warum – man den Korken aus einer Weinflasche auch mit einem Turnschuh herausbekommen kann.
Eines Tages spielte unsere Musiklehrerin der Klasse Die Moldau von Smetana vor und erklärte, wie das Lied den Verlauf des Flusses und die umliegende Landschaft nachzeichnet – wir konnten es sogar auf den Notenblättern sehen, das war sehr beeindruckend. Sie hatte ganz einfach Musik verständlicher gemacht. Ein anderes Mal sollten wir Lieder mitbringen, deren Text von der Melodie abweicht. Eine Klassenkameradin brachte Together Again von Janet Jackson mit, ein Lied, das ich gerne mochte – aber ich lernte erst in dieser Schulstunde, dass der leicht dahin klimpernde Song einer verstorbenen Person gewidmet und im Kern traurig ist.
Ich glaube, dass es mit den richtigen Techniken einfach sein muss, den Schulstoff über sezierte Fische oder Frösche hinaus anfassbar zu machen. Und ich hoffe, dass diese Techniken heutzutage auch im Lehramt gelehrt werden. Außerdem müssen natürlich Fächer wie Informatik zum Pflichtfach werden, wie hier im SWR berichtet, genauso wie Englisch.
Und wo ich schon beim Meckern bin: Ich frage mich, ob die derzeitige Fixierung auf Noten abgeschafft werden sollte. Junge Menschen hätten hierzulande mit den seit dem Jahrtausendwechsel hinzugekommenen Medien so viele Möglichkeiten wie nie zuvor, sich zu ihren Interessen hin zu entwickeln, aber das starre Schulnotensystem lässt da nur wenig Spielraum zu, scheint mir. Natürlich würde das die Leistungsbewertung schwieriger machen.
Wer übrigens mehr über Schulfrust lesen will, kann bei Formschub gleich weitermachen.
Fazit
Was nehme ich aus diesem kleinen, ärgerlichen Rant mit? Das Schulsystem, mit dem ich mich herumschlagen musste, machte an vielen Stellen mehr kaputt als es half. Ich fürchte, es hat sich in den vergangenen zwan— äh, 🙄, dreißig Jahren nicht genug geändert.
Modernere Lernmittel habe ich natürlich wahrgenommen. Tablets und elektronische Tafeln sind ganz toll, aber ob die Pädagogik der Lehrkräfte auch einige sehr große Schritte nach vorne getan hat, kann ich nur hoffen.
Und zuletzt: Natürlich hätte ich mir in den vergangen paar Jahren diese Dinge auch anlesen können statt hier jetzt zu nörgeln. Das Ding ist, ich brauche sie nie. Deswegen ist eine der besten Erkenntnisse: Damals vermutete ich, „ihr braucht das später alles“ sei schamlos gelogen – und ich hatte recht.
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