„Wo sind eigentlich die Kinder?“

Immer, wenn ich solch urige Häuser wie auf dem Beitragsbild sehe, werde ich an eine denkwürde Situation in meiner Kindheit erinnert. Ich weiß noch, dass wir mit einigen Familienmitgliedern in dieses „ganz besondere Restaurant“ gingen – so wurde es uns Kindern jedenfalls angepriesen.

„Ganz besonders“, das bedeutete komisches glibberiges Zeug (Sülze), seltsam schmeckendes Fleisch (Leber) und überwürzte Wurst (Blutwurst). Kurz: Mir gefiel dieses Etablissement überhaupt nicht. Es war düster und verwinkelt, ständig waren schwarz angestrichene Holzbalken im Weg. Als Erwachsener würde ich es wohl als uriges Restaurant im Landhausstil bezeichnen. Als Kind, das eher Lust auf Pommes und Abenteuer hatte, übte der Ort aber keinen besonderen Reiz auf mich aus. Es war unglaublich langweilig und ich kann mir gut vorstellen, dass wir Kinder irgendwann schrecklich quengelten.

Vielleicht durften wir deshalb vor oder nach dem Essen etwas Herumlaufen. Wir gingen vor die Tür und schauten, was man um das Haus denn so erleben konnte. Das Restaurant befand sich nah am Wald, ringsherum standen große Bäume. Die ganze Szenerie wirkte so düster wie der Innenraum. Links vom Eingang entdeckten wir eine alte, rostige Leiter. Sie führte auf ein schmales Podest, das sich längs am Haus auf etwa anderthalb Metern Höhe befand. Jemand machte den Anfang und kurz danach standen wir nebeneinander auf diesem schmalen Steg.

Viel zu erleben gab es hier nicht: Links war der Wald, rechts begann das Reetdach. Wir schauten uns die vielen Schichten Schilfrohr an, mit dem das Haus bedeckt war. Beeindruckend, dass es tatsächlich all den Regen und die Feuchtigkeit abhalten konnte, die so ein Dach nun mal abbekommt. Wir schoben ein paar alte Blätter und herabgefallene Zweige beiseite und hatten nun das Reet direkt vor uns.

Einer von uns war frech genug, ein einziges kleines Rohr aus dem Dach heraus zu ziehen. Das war schon ganz schön dreist, dachte ich. Aber ich wollte es dann auch versuchen – das ging ganz leicht und machte irgendwie Spaß. Reihum zogen wir alle ein paar der Schilfrohre aus dem Dach heraus, und dann ein paar mehr, bis wir in einem kleinen Haufen dieser ehemaligen Dachbefestigung standen. Im Dach war mittlerweile ein beeindruckend großes Loch entstanden.

Da hörten wir ein Rufen. Einer der Erwachsenen hatte uns gefunden. Offenbar waren wir zu lange weggeblieben und wie das nun mal so ist: Wenn von Kindern zu lange nichts zu sehen oder zu hören ist, sollte man mal nachschauen gehen. In diesem Fall war es aber leider zu spät. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Es gab einen riesigen Ärger und natürlich wurde den Besitzern gebeichtet, die den Schaden dann natürlich aufgeregt begutachten mussten. Wir wurden reihum zur Rede gestellt und schämten uns schrecklich. Nach unserer Rückkehr nach Hause mussten sich meine Eltern dann noch eine ganze Weile mit der Versicherung und den Eigentümern des Hauses herum schlagen, um die Reparaturen zu koordinieren.

Mir ist das alles bis heute peinlich. Dass meine Eltern uns auch heute noch bei Reetdächern ein schräges Lächeln zuwerfen, zeigt mir aber, dass sie den Stress wohl überwunden haben.


Image by Karsten Madsen from Pixabay

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