Mit Menschen umgehen

Folgende Szene dauerte nur ein paar Sekunden: Ich mache einen Abendspaziergang, es ist Winter, also dunkel und kalt, darum trage ich eine Mütze und habe sie mir weit über die kleinen, kabellosen Kopfhörer gezogen. Um kurz vor 18 Uhr komme ich an der Dorfkirche vorbei und die Glocken läuten, es dröhnt durch die nahen Straßen.

Eine ältere Dame kommt mir entgegen, sie hat ein kleines Licht an ihrem Rollator befestigt, damit sie gut gesehen wird, und sicher auch damit sie selbst genug sieht. Der Gehweg ist zu schmal für uns beide, also wechsle ich kurz auf die Straße. Ich nicke ihr zu, sie schaut weiter geradeaus und ich hoffe, dass sie mich nicht gegrüßt hat, als ich sie noch nicht angesehen habe, denn das kann ich durch die etwas geräuschunterdrückenden Kopfhörer und dem Geläute direkt über uns nicht wahrnehmen.

Wenige Meter weiter steht auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein junger Mann unschlüssig vor einer geöffneten Hoftür. Er sieht gut aus, Klamotten und Frisur sind auffällig. Er schaut durch die Tür in den Hof, dann auf sein Smartphone, fummelt an irgendetwas herum, guckt wieder in den Hof. Ich schaue an ihm vorbei auch in den Hof, weil ich diese Tür noch nie geöffnet sah und neugierig bin, wie es dahinter aussieht.

Danach mustere ich ihn und frage mich, was er wohl vor dieser alten Tür zu tun hat. Sicherlich wartet er auf jemanden, fühlt sich offenkundig unwohl und sieht aus, als wäre er lieber woanders. Vielleicht mag er auch kein Glockengeläut. Einige Schritte lang schaue ich die Hoftür und ihn an und muss dafür beim Weitergehen den Kopf weit drehen.

In dem Moment, als ich beschließe, genug gesehen zu haben, und wieder nach vorn gucken will, schaut er mich an. Für einen Sekundenbruchteil blicken wir uns in die Augen und ich meine, er nickt mir grüßend zu. Da hat sich mein Kopf aber schon zurück gedreht und ich schaue wieder nach vorn.

So. Was macht man in dieser Situation? Nochmal hingucken und grüßen, auf die Gefahr hin, dass er nur in meine Richtung sah, um mich als Spaziergänger zu registrieren und dann womöglich denkt, ich würde ihn über Gebühr anstarren, sogar nochmal extra wieder hingucken (inzwischen bin ich so weit gegangen, dass ich dafür rückwärts über die Schulter schauen müsste), insbesondere weil er auffälliger aussieht als ein Standardmensch in diesem kleinen Dorf? Oder nicht nochmal hingucken und einfach weitergehen, auf die Gefahr hin, dass er denkt, ich sei ein unfreundlicher Fatzke, der nicht zurück grüßt, eben wie einer dieser Standardmenschen in diesem kleinen Dorf?

Ich war in dem Moment überfordert, musste aber auch grinsen, als mir das bewusst wurde. Bis dahin war die Situation endgültig vorüber, ich hatte die zweite Option gewählt und hoffe jetzt, dass er gar nicht gegrüßt hat – denn dann kann ich für ihn einfach nur ein Spaziergänger geblieben sein.

Bin ich socially awkward oder geht es anderen Menschen bisweilen ähnlich?

4 Kommentare

  1. Solche Situationen kenne ich nur zu gut!
    In dieser konkreten Situation hättest Du auch fragen können: ,,Kann ich Ihnen helfen?“
    Da er ja offensichtlich nicht aus eurem Dorf kommt, ist er sich evtl. nicht sicher, ob er am richtigen Treffpunkt steht oder so.
    Meine Erfahrung ist: Miteinander reden ist weniger awkward, als zu schweigen.

    1. Irgendwie war das nicht die Situation, ihn anzusprechen, ich kann aber auch nicht genau sagen, weshalb ich das so einschätze.
      Stimmt aber: in den vergangenen Monaten habe ich es in vergleichbaren Momenten manchmal geschafft, genau diese Awkwardness anzusprechen und dann war alles überhaupt gar kein Problem. Mehr reden 🙂

  2. Ich hätte in beiden Fällen wahrscheinlich auch freundlich gegrüßt. Auch wenn es bedeutet hätte, dass ich einen Kopfhörer hätte raus nehmen müssen oder meinen Gang unterbrechen, um mich umzudrehen.

    Ich freue .ich, wenn Leute Kontakt aufnehmen und grüßen. Ich versuche auch selbst möglichst häufig zu grüßen. Das ist natürlich davon abhängig, wie es mir an dem Tag oder in der Situation geht.

    Ein Grüßen hat etwas Verbindendes und ist eine kleine freundliche Wertschätzung der anderen Person. In einer Welt, in der wir so sehr mit uns selbst oder anderen Dingen beschäftigt sind.

    1. Ich hatte mir mal vorgenommen, Menschen in meiner Umgebung einfach immer zu grüßen (also klar, außer in der vollen Innenstadt natürlich). Ganz oft schalte ich die Kopfhörer auch auf Durchzug oder aus, damit ich die Leute höre. In diesem Fall kam es aber nicht dazu, das ging mir alles zu schnell.

      Du hast natürlich völlig recht, eine kleine freundliche Wertschätzung ist das, und es ist eine schöne Geste. Ich nehme mir das nochmal neu vor.

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