Einen meiner ersten Jobs hatte ich in einer Unternehmensberatung. Die Firma residierte in einem sehr alten, stuckverzierten Haus mit knarzender Treppe, in dem sogar die Küche denkmalgeschützt war. Wer sich damit auskennt und ohne Gewähr: Ich glaube, das Haus war im Stil des Historismus gebaut. Jedenfalls gab es im Erdgeschoss große Räume mit hohen Fenstern, die zur üppigen Veranda samt Garten mit Springbrunnen führten. Im ersten Stock gab es immerhin noch große, bodentiefe Fenster und einen Balkon, aber die Räume wurden kleiner. Im zweiten Stock hingegen hatten die Zimmerchen eher Gucklöcher als Fenster, und natürlich zog es im Winter überall.
Eines Tages erzählte mir der Eigentümer einen Teil der Geschichte des Hauses. Demnach hatte der Kasten samt riesiger Gartenanlage einer wohlhabenden Familie gehört, die über die Generationen allerdings Stück für Stück das umliegende Land hatte verkaufen müssen. Heutzutage steht das Gebäude neben weniger edlen Häusern, die, wenn man dem Chef glauben kann, alle nachträglich gebaut wurden und auf dem damaligen Grund und Boden dieser Familie stehen.
Wie dem auch sei, interessant wurde es, als ich einen Grundriss mit Beschriftungen der früheren Verwendung sah: Die Familie residierte tagsüber im Erdgeschoss, man schlief einen Stock höher. Die Angestellten hingegen mussten im zweiten Stock wohnen, in den kleinsten Zimmern. Verständlich, bei dieser Bauweise.
Im Podcast „Die Geschichte des Aufzugs – Wie der Fahrstuhl die Welt veränderte“ vom BR wird nun erklärt, wie groß der Effekt ist, den die Erfindung der Fahrstühle auf die Gesellschaft gehabt hat. Kurz gesagt: Heute ist es anders herum: Je mehr Geld du hast, desto höher ziehst du. Oben ist vor allem die Aussicht besser, es ist aber auch ruhiger, sicherer, außerdem sind ganz oben die Heizkosten oft höher, das muss man sich alles leisten können. Für eine Bestätigung dieser Aussage reicht es, einen Blick in die Immobilienanzeigen zu werfen und die Preise von Erdgeschoss- mit Penthouse-Wohnungen zu vergleichen.
Bevor es Aufzüge gab und die Herrschaften ständig hätten Treppensteigen müssen, war diese Aufteilung undenkbar. Außerdem hatten die Wohnungen oben natürlich im Zweifelsfall weniger oder gar keine Wärmequellen. Heute, wo man sich mit den richtigen finanziellen Mitteln einen Fahrstuhl leisten kann? Ab nach oben! Diesen Wechsel möglich machten maßgeblich Fahrstühle.
Übrigens: Diese Regel gilt natürlich nicht bei Altbauhäusern ohne Fahrstuhl, wie bei meinem damaligen Arbeitgeber. Ich war auch mal in einem Haus zu Besuch, bei dem das Treppenhaus nach oben immer enger wurde, so dass man im dritten Stock nicht einmal mehr zu zweit nebeneinander gehen konnte. Die Wohnungstür war schlussendlich nicht viel breiter als ein Wasserkasten. Wie unser Gastgeber sein Sofa in die Wohnung bekommen hat, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ihm ist meine ewige Bewunderung sicher.
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