Über die Motivation, einfach anzufangen

„You will not cry! You will not throw up!“

So schreit mich der digitale Drill Sergeant meiner Sport-App an. Ich muss kurz grinsen, doch angesichts schmerzender Arme und brennender Bauchmuskeln vergeht mir das schnell wieder. Diese App für das tägliche Workout zu Hause versucht mit allen Mitteln, faule Stubenhocker wie mich zum Training anzuspornen. Neben dem Drill Sergeant kann man auch eine Cheerleaderin motivierende Sprüche rufen oder eine Yoga-Lehrerin freundliche Worte säuseln lassen. Wer andere Stilrichtungen bevorzugt, kann dutzende weitere Stimmen herunter laden – für Geld, natürlich.

Das Ziel, das all diese Sportlehrerinnen und -lehrer verfolgen, bleibt das gleiche: „Mach weiter. Hör nicht auf.“ Ein Motto, das mir – und zweifellos vielen anderen Menschen – häufig begegnet. Bei einer Physiotherapie war dies eine der wichtigsten Regeln, wenn nicht sogar das oberste Credo: „Du kommst jeden Tag her und machst das, was an dem Tag möglich ist. Das ist mal mehr, mal weniger, aber es ist jeden Tag ein Schritt hin zu einer Besserung.“

Aber: Ohne Anfang kein Weitermachen

Die Idee, sich überhaupt erstmal zum Machen zu bewegen und kein Ziel festzulegen, finde ich sehr gut. Ganz aus Versehen habe ich das in der Pandemie mit Spaziergängen gegen notorische Rückenschmerzen gemacht. Anfangs ging es nur 20 Minuten, irgendwann wurde daraus eine halbe Stunde, dann eine Dreiviertelstunde und irgendwann stellte ich fest: ich war eine Stunde draußen. Neulich absolvierte ich das erste Mal einen zweistündigen Spaziergang und war stolz, dabei nicht einmal Rückenprobleme bekommen zu haben.

Nicht nur beim Sport ist „erstmal anfangen“ eine gute Taktik. Auch beim Hausputz, beim Renovieren oder wenn man Kochen lernen möchte. Wer sich mit einem Thema zum Start ergebnisoffen auseinander setzt, hat schon den ersten Schritt getan.

Während ich dies schreibe, muss ich über mich selbst lächeln. Denn es klingt, als würde ich einen Motivationsratgeber verfassen und so tun wollen, als hätte ich selbst noch nie einen neidvollen Blick auf den Thron des Prokrastinationskönigs geworfen. Im Gegenteil: Fast immer sitze ich lieber herum und denke über das nach, was ich stattdessen machen müsste. (Vielleicht entstehen sogar diese Zeilen genau aus dem Grund? Das wird niemand je erfahren!)

Früher wussten wir alle, wie „erstmal anfangen“ geht

Mir fällt gerade ein, dass die Taktik „erstmal anfangen“ von uns Menschen ganz instinktiv genutzt wird. Kleinkinder wissen nicht, wie häufig sie hinfallen werden, während sie Laufen lernen. Hätten sie das Bewusstsein eines erwachsenen Menschen, sie würden vielleicht aufgeben und beschließen, dass Krabbeln auch ganz in Ordnung ist.

Anzufangen, das braucht im Erwachsenenalter hauptsächlich Mut. Denn dann wissen wir, wie viel schief gehen kann. Wir sehen, dass andere Menschen mit ihren großen Projekten erfolgreich waren, aber auch, wie viel mehr scheiterten. Doch statt uns in unsere Kindheit zurück zu versetzen und einfach anzufangen, lassen wir es lieber von vornherein sein.

Und deshalb wird von mir auch nie ein Buch erscheinen.

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