“Du lernst ein Instrument und machst eine Sportart!“

„Welche, das kannst du dir jeweils aussuchen.“ Das waren die Ansagen meiner Eltern, als ich jung war. Ich war leider wenig entscheidungsfreudig. Zu einer Sportart konnte ich mich tatsächlich nie durchringen, ich glaube, die Vorgabe wurde irgendwann in stiller Übereinkunft fallen gelassen. Beim Instrument allerdings waren meine Eltern ziemlich konsequent, und darum soll es hier gehen.

Versuch 1 | appassionato (leidenschaftlich, ausdrucksvoll)

Wir hatten damals das Glück, ein Klavier zu Hause zu haben, und da lag es nahe, es zunächst damit zu versuchen. Ich begann also mit Klavierstunden, die aufgrund irgendwelcher Zusammenhänge eine Zeit lang im einem anderen Privathaus stattfanden: Dort gab es einen großen, weißen Flügel vor einer riesigen Fensterfront und ich hätte mich wie ein virtuoser Pianist auf einer Bühne fühlen können – wenn ich denn regelmäßig geübt hätte.

Aber dafür war ich zu faul, und so machte ich nur wenig Fortschritte. In einem Hausaufgabenheftchen sind meine kläglichen Lerneinheiten vermerkt und sagen wir mal so: nur die ersten paar Seiten sind überhaupt beschrieben.

Versuch 2 | lentando (schleppend)

Da ich Tasteninstrumente aber mochte, entschied ich mich danach, Keyboard zu lernen, natürlich nicht ganz freiwillig. Also ging ich fortan einmal in der Woche zum Unterricht in das „Musikhaus Lu Pröbsting“ irgendwo bei Siegburg, das Geschäft gibt es mittlerweile nicht mehr.

In dem Laden wurden Musikinstrumente verkauft, auch Keyboards. In der kurzen Wartezeit vor Stundenbeginn durfte ich auf den Keyboards im Verkaufsraum spielen. Ich spielte dann immer mein Lieblingslied, „Oh when the saints go marching in“, ein Lied mit extrem einfacher Melodie. Eines Tages hatte ich es damit wohl ein wenig übertrieben und es zu häufig in allen Facetten und Sounds, die die vielen Keyboards anboten, wiederholt. Als ich in der Woche darauf wie immer schüchtern fragte, ob ich die Keyboards einschalten dürfte, antwortete der Verkäufer: „Das darfst du, aber nur, wenn du mir versprichst, nicht wieder ‚oh when the saints‘ zu spielen. Ich kann das nicht mehr hören.“ Mir war das schrecklich peinlich.

Im Keller des Ladens fanden Musikstunden für kleine Anfänger wie mich statt. Es gab keine Fenster, und in einem düsteren Räumchen standen mehrere Keyboards. Wir Kinder saßen dann mit den Rücken zueinander im Kreis, jeder an seinem, und wer gerade nicht vom Lehrer betreut wurde, übte mit Kopfhörern. Manchmal zog ich in einer dieser Stillarbeitsphasen meinen Kopfhörer heimlich etwas von den Ohren und hörte zu, wie der Unterricht am Gerät hinter mir denn so lief: mir schien, die machten alle bessere Fortschritte als ich.

Das war aber auch kein Wunder, denn ich vermute, dass die anderen zu Hause lernten. Ich tat das nämlich weiterhin nicht. Nein, ich fand eher die Technik der Keyboards interessant: Wie konnten sie den Tastenanschlag imitieren? Wie wurden all die Instrumente eingespeichert und weshalb hatte das, was das Gerät für einen Klaviersound hielt, so wenig mit einem echten Klavier gemeinsam?

Versuch 3 | desolato (trostlos, verzweifelt, tief betrübt)

Bald wurde der Versuch mit dem Keyboard im Familienrat als gescheitert erklärt. Aber damit endete diese Odyssee nicht, denn wenn ich schon keinen Sport machte, die Musik sollte nicht so einfach unter den Tisch fallen. Vielleicht einmal kein Tasteninstrument? Als nächstes dachte ich darum, ich könnte vielleicht E-Gitarre spielen. Es wurde dann jedoch erst einmal eine gebrauchte akustische Gitarre beschafft, denn meine Eltern waren mit Blick auf die bisherige Erfolgsquote nicht bereit, viel Geld für eine E-Gitarre auszugeben. Also war das Ziel, dass ich erst Akustikgitarre lernen würde. So kam es dann auch: ich fand mich in Unterrichtseinheiten in einer Schule in einem kleinen Dörfchen in der Nähe wieder, das ich vorher und auch nachher nie wieder betreten habe.

Normalerweise fuhr meine Mutter mich und machte in der Zeit Besorgungen in der nächsten Stadt – die Verbindung auf dem Land war nämlich ausnehmend schlecht. Manchmal musste ich allerdings auch mit dem Bus fahren. Die Tour beinhaltete unter anderem ein Umsteigen an einem zu der Tageszeit wie ausgestorbenen Busbahnhof irgendwo auf dem Weg. Eines Tages im Winter stellte ich fest, dass die Linie, aus der ich ausstieg, und die Linie, in die ich danach wieder einstieg, von ein und demselben Bus samt Fahrer bedient wurden. In der nächsten Woche fragte ich, ob ich vielleicht im Bus sitzen bleiben dürfe, denn draußen war es ziemlich kalt. Der Busfahrer ließ das aber nicht zu und mich stattdessen alleine auf dem windigen Busbahnhof in der Kälte warten.

Wie zu erwarten war, machte mir Gitarre – wenn ich ehrlich bin – noch weniger Spaß als Klavier. Ich lernte ein wenig die Fingerhaltung, aber die Geräusche, die ein Klavier hervorbringt, hören sich in meinen Ohren angenehmer an als die einer Gitarre. Daran kann auch Strom nichts ändern!

Versuch 4 | macabro (schauerlich)

Trotzdem versuchten wir es: eines Tages bekam ich tatsächlich eine E-Gitarre samt Verstärker. Das war ein großes Event, und ich hatte auch ziemlich viel Spaß mit dem Gerät. Mit einer Freundin testete ich, wie weit in der Nachbarschaft man den Verstärker wohl hören konnte: Sie lief die Straße runter, während ich am offenen Fenster stand, voll aufdrehte und mein Zimmer vibrieren ließ. Gar keinen Spaß machte allerdings das Üben, das fand ich weiterhin total doof. So kam es, dass auch dieses vierte Instrument mich nicht dazu bringen konnte, überhaupt Noten lesen zu lernen.

Es stimmt nämlich: nach diesen vier Instrumenten (und irgendwann war ich auch noch im Chor gewesen) war ich weiterhin nicht in der Lage, Noten zu lesen. Bis heute! Was mich über Wasser hielt, war meine Fähigkeit, mir Musikstücke einzuprägen und diese dann aus dem Kopf nachzuspielen. Problematisch war es, wenn ich eine andere Version eines Stückes im Kopf hatte und diese spielte, statt der Variante, die da vor mir auf dem Papier stand. Dann kam die Schummelei ans Licht und ich wurde gescholten, doch endlich Noten lesen zu lernen. Meine Lehrer tun mir bis heute leid, diese Stunden müssen ihnen wirklich wenig Freude bereitet haben.

Versuch 5 | piano possibile (so leise wie möglich)

Irgendwann fand ich mich zu allem Überfluss in einem kleinen Orchester wieder, allerdings nur als Begleitung am Keyboard. Ich brauchte lediglich ein paar Tasten zu drücken, konnte das auswendig und bekam nicht einmal Noten. Der Job war genau so angelegt, es wurde gar nicht mehr von mir erwartet. Dieses Engagement war sehr einfach und machte mir auch Spaß.

Bis zu dem Tag, als dieses Miniorchester einen Auftritt in einer Fußgängerzone hatte. Ich war überraschend nervös und hatte einen kompletten Blackout. Ich konnte mich an nichts mehr erinnern, stand während des Auftritts wie angewurzelt vor dem Gerät und drückte sicherheitshalber gar keine Taste statt einer falschen – und wich den fragenden Blicken aller Umstehendem aus. Dieser Moment markierte das enttäuschende aber wenig überraschende und längst überfällige Ende meiner musikalischen Laufbahn.

Im Nachhinein betrachtet war das erste Instrument, das Klavier, die richtige Wahl gewesen. Es ist mein Lieblingsinstrument geblieben, aber selbst heute traue ich mir nicht zu, am Üben dran zu bleiben. Es gibt so viele schöne Ablenkungen, zum Beispiel diesen Blog.

6 Kommentare

  1. Was für eine schöne Geschichte! Meine eigene Musik-Karriere lief anders*, dennoch kann ich alles Geschriebene gut nachvollziehen. Die Zwischen-Überschriften sind im Übrigen genial. Bravo!

    Stücke rein nach Gehör spielen zu können, finde ich faszinierend. Ich wünschte, ich könnte das auch so gut, wie Du es von Dir hier beschreibst. Ich musste viel üben, dass ich mein Repertoir auswendig beherrschen lernte. Heute habe ich so viel anderes Wissen im Kopf, dass ich „blank“ vor dem Klavier sitze und nicht mal mehr meine Lieblingsstücke klimpern kann. Sehr bedauerlich. Du wirst vermutlich heute noch „Oh, when the saints“ voller Inbrunst spielen. (Au weia, ein teuflischer Ohrwurm!)

    * Mit etwas mehr als sechs war ich meinen Eltern lange genug auf die Nerven gegangen, sodass sie mir endlich erlaubten, ein Instrument zu lernen. Ich suchte mir Violine aus. Mit 14 kam Klavier, Sprech-Kunst und Singen dazu. Theorie, Gehörbildung und vor allem Musik-Geschichte fand ich ätzend. Heute weiß ich jedoch, wie wichtig es war und bin froh, da mit Nachdruck von meinen Lehrer:innen durchgeführt worden zu sein. Leider vergesse ich immer mehr und müsste wieder sehr viel üben, um beispielsweise die Noten, die mir im Kopf rumschwirren, aufschreiben zu können. Transponieren geht auch nur noch eher mäßig. Mein Musik-Spezial-Abitur (humanistisches Gymnasium) in der Tasche, bestand ich mit 18 die Aufnahme-Prüfung an der Musik-Hochschule. Doch auf dem Weg dahin kam das Leben (Wende) dazwischen und alles wurde anders. Heute ist Musik mein Hobby und ich bin immer wieder erstaunt, wie viel ich über das Musizieren – solo, im Chor, im Orchester und in den Ensembles (von Klezmer über Tango und Jazz bis hin zum Streich-Quartett) lernte. Über Kommunikation und Zuhören zum Beispiel.

    Danke!

    PS: Und Danke auch an all die Kommentator:innen. Ich schmunzle hier von einem Ohr zum anderen.

    1. Dass nicht jeder Mensch gehörte Musik nachspielen spielen kann, war mir als Jugendlicher noch gar nicht bewusst. Inzwischen bin ich mir aber nicht sicher, ob das nicht eher hinderlich ist, zumindest im Lernprozess. Später kann es wiederum hilfreich sein, das stimmt. Ich kann das Stück immer noch spielen, mag es inzwischen aber gar nicht mehr so sehr, es ist auch wirklich simpel.

      Die intrinsische Motivation für das Musikinstrument, von der du erzählst, hat mir damals leider gefehlt. Ich finde es toll, dass deine Eltern dich – nach ausreichend Genörgele – dabei unterstützten und du hast ja auch eine Menge gelernt. Natürlich vergisst man dieses Wissen mit der Zeit, das ist ja leider immer so. Würdest du dir heutzutage die Zeit nehmen können, Theorie, Gehörbildung und Spielkunst wieder intensiv aufzufrischen, ich glaube, das wäre alles recht schnell wieder aus den Gehirnwindungen hervor geholt.

      Den Punkt mit dem Beifang-Lernen hatte ich gar nicht bedacht. Aber klar, sobald man gemeinsam mit anderen musiziert, muss man aufeinander achten und sich wortwörtlich zuhören, sonst ist das Ergebnis fieses Geschrammel. So lehrt Musik eben nebenbei noch mehr als nur das Spielen selbst.

  2. Hahaha, sehr schöne Geschichte und erinnert mich doch etwas an meine Geschichte. Bei mir warens allerdings nicht die Eltern die dahinter steckten (die haben mir ein Instrument eh nicht zugetraut und es war ihnen auch völlig egal), sondern ich wollte es. Angefangen bei Mundharmonika, dann kam eine Gitarre dazu, dann auch ein Keyboard … letztlich war alles nur am Anfang interessant, dann gab es immer Wichtigeres. Irgendwann versuchte ich es mit 16 oder so noch mal mit einem Schlagzeug, dass mir am meisten Spaß machte. Aber auch da fehlte mir das Durchhaltevermögen und dann waren Freunde & Partys wichtiger. Schlagzeug würde ich auch heute gerne noch mal richtig lernen, aber es scheitert bereits an den Räumlichkeiten. Später habe ich dann mal für einige Monate (bis zu meinem ersten Live-Einsatz auf dem Stadtfest) mit Gesang in einer Crossover Band versucht. Das war mir aber dann zu viel Aufmerksamkeit, kam ich nicht mit klar.

    1. Interessant zu sehen, dass mehr Leute eine kleine Reise durchgemacht haben – auf Mastodon hab ich auch so etwas als Antwort bekommen. Aber generell ist es ja super, wenn man viel ausprobiert, das erweitert den Horizont. Selbst wenn am Ende nichts draus wird, so ist das eben beim Ausprobieren. Übrigens, es gibt glaube ich so Schlagzeuge für zu Hause, die machen keinen Lärm und funktionieren mit Kopfhörern (freut die Nachbarn) oder machen gar keine Töne (wenn’s um rhythmisches Armtraining geht). Das mit der Aufmerksamkeit ist ein guter Punkt, eventuell hatte ich damals deshalb auch diesen Blackout, das ist auch so gar nicht meins.

  3. Ja, so kann es gehen mit der Karriere als Musiker. Man versucht das eine und dann das andere, aber nichts will so richtig passen. Nicht jeder ist ein David Garrett.
    Aber schön, dass du das hier mal zusammenfassend aufgeschrieben hast.
    Ich erinnere mich noch gut: Wir saßen am Keyboard und blickten in die Noten. Ich bat dich, mir dieses Stück vorzuspielen. Du wolltest nicht. Du fragtest, ob ich dir das nicht mal vorspielen könne. Ich tat es. Und du spieltest es (beinahe oder ganz?) fehlerfrei nach. Erst viel später erfuhr ich, dass du nicht nach den vor dir liegenden Noten gespielt hast, sondern mir nach Gehör oder nach den Bewegungen meiner Finger einfach nachgespielt hast.
    Auch eine Leistung! Wenn auch nicht die gewünschte.
    Du Schlingel!

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