Schönheit

Im Film „Next“ bin ich auf das Zitat eines Malers gestoßen. Er heißt dort Carlotti, gemeint ist aber die reell existierende Person Johann Carl Loth, genannt Carlotto (1632 – 1698), ein deutscher Maler des Barocks, der mit 66 Jahren für die Zeit wohl recht alt geworden ist. Das Zitat lautet:

Schönheit ist die Summe der Teile, bei deren Anordnung die Notwendigkeit entfällt, etwas hinzuzufügen, zu entfernen oder zu ändern.

Carlottos Definition von Schönheit ist bemerkenswert. Ich stelle mir vor, wie er wochen- oder gar monatelang an einem Bild arbeitet. Ständig geht er ein paar Schritte zurück, vergleicht, kalibriert und ordnet neu. Was wohl in seinem Kopf vorgeht, während er zum Beispiel auf die feinen Pinselstriche eines Gesichts konzentriert ist?

Als Maler muss er sowohl den Blick auf kleine Einzelheiten als auch auf das große Ganze werfen. Der Barock ist ja eine selbst auf kleinen Bildern ausschweifige, vieles ausdrückende Kunst. Wer kennt das nicht von Museumsbesuchen: „[…] und wenn Sie hier nun auf den Blick des Königs achten […] ist die Farbe des Umhangs natürlich nicht zufällig gewählt, sondern sagt aus, dass […] liegt die Frau halbseitig abgewandt, und das bedeutet […]“ Ein nicht geschultes Auge wie meines sieht dabei nur einen recht nobel gekleideten Kerl, seinen Umhang und eine daneben liegende Frau auf einer Art Couch. Stattdessen handelt es sich hier sogar weniger nur um die Zeichnung zweier Menschen (ganz à la „jetzt mal lächeln, bitte!“) als vielmehr um einen bis ins kleinste Detail und filigran ausgearbeiteten Ausdruck einer Szene. Die üppigen Malereien – und natürlich auch Gebäude, Kleider und so weiter – galten nicht nur als hübsch, sondern schufen eine Aussage, ein Statement.

Vor diesem Hintergrund ist sein Zitat nicht im übertragenen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes zu lesen: Als Künstler kann er sein Werk erst dann als schön bezeichnen, wenn bei allen seiner Pinselstriche die Notwendigkeit entfällt, weitere hinzuzufügen, andere zu entfernen oder zu ändern. Und zwar seiner Meinung nach, nicht nach Meinung irgendeines anderen. Was bedeutet: Schönheit ist relativ, sie liegt – so abgedroschen der Spruch auch ist – im Auge des Betrachters.

Natürlich lässt sich Carlottos Aussage aber auch ganz wunderbar auf alles Leben übertragen: Schön ist das Objekt der Begierde, wenn der Betrachter nicht der Meinung ist, dass daran noch Arbeit verrichtet werden müsste. Das haben sie zum Beispiel auch schon bei Loriot (YouTube) und ziemlich beste Freunde (MyVideo) gewusst und persifliert.

Und auch bei Menschen ist Schönheit alles: Nicht nur die fünf Sinne, auch Gefühle wie Geborgenheit, Stolz, Freude und das Wissen, zusammen zu gehören… all das und noch viel mehr macht Schönheit aus. „Seine neue Freundin ist wirklich nett, aber nicht eine der Schönsten“, wurde mir neulich erklärt. Eine völlig unnötige Aussage, weil das doch jeder für sich selbst entscheiden sollte. Joe Cocker hat das sogar vertont: You are so beautiful to me (YouTube).

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